24.10.2010

Ägypten: Kopten harren aus in Leid und Bedrängnis

In Ägypten, aus dem Mose die Israeliten einst herausführte, und das der Heiligen Familie Zuflucht vor Herodes bot, hat das Christentum tiefe Wurzeln. Heute sind knapp zwölf Prozent der 70 Millionen Einwohner Ägyptens Christen, die allermeisten (95 Prozent) von ihnen Kopten. Obgleich die koptischen Christen immer wieder Wellen der Verfolgung, Diskriminierung und Unterdrückung erleben mussten, sind ihre strengen Klöster auch heute überfüllt. Sie können gar nicht alle Bewerber um das Noviziat aufnehmen. Papst Johannes Paul II. würdigte dieses fromme Ausharren: „Auf diesem Boden Ägyptens wurde die Botschaft des neuen Bundes von Geschlecht zu Geschlecht weitergegeben durch die ehrwürdige koptische Kirche, Erbin der Verkündigung und des apostolischen Wirkens des Evangelisten Markus, der nach der Tradition das Martyrium in Alexandrien erlitt“.

Ägypten ist ebenso wie Syrien ein Beispiel dafür, dass ein autokratisches Regime für christliche Minderheiten sogar das geringere Übel sein kann: Völlig freie Wahlen auf der Basis gleicher Chancen würden der Muslimbruderschaft eine Machtfülle in die Hand spielen, die für die christliche Minderheit nicht ungefährlich wäre.

Auch heute ist in Ägypten der Islam offizielle Staatsreligion und „die Hauptgrundlage der Rechtsprechung ist das Islamische Recht“ (Artikel 2 der Verfassung). Gleichzeitig heißt es in Artikel 40: „Alle Bürger sind vor dem Gesetz gleich. Sie haben dieselben bürgerlichen Rechte und Pflichten, ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, ihrer Volkszugehörigkeit, ihrer Sprache oder Religion oder ihres Glaubens“. Der Staat garantiert laut Artikel 46 „die Glaubensfreiheit und die freie Ausübung des Glaubens“. Tatsächlich jedoch besagt die Religionsfreiheit nur Kultusfreiheit. Es gibt vielfältige gesellschaftliche Diskriminierungen und immer wieder gewaltsame Übergriffe gegen koptische Kirchen und Klöster. Staatspräsident Mubarak berief zwar auch Kopten ins Parlament, doch sind die Christen im öffentlichen Dienst und in führenden politischen oder militärischen Ämtern deutlich unterrepräsentiert.

Kleinasiens Christentum droht zu erlöschen: Erst seit dem Zusammenbruch des Osmanischen Reichs sind die Christen in der Türkei zur verschwindenden Minderheit geschrumpft. Die etwa 90 000 Christen sind bei 75 Millionen Einwohnern im Alltag nahezu unter der Wahrnehmungsschwelle. 65 Prozent der Christen gehören der Armenisch-Apostolischen Kirche an, bilden also auch eine nationale Minderheit. Der Staat des Kemal Atatürk ist streng laizistisch, die Mehrheitsreligion – der sunnitische Islam – wird vom Staat verwaltet und gelenkt. Für das traditionsreiche Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel, das sich auf den Apostel Andreas gründet und bis zum Ende des Ersten Weltkriegs das Zentrum der meisten Christen im Nahen Osten war, geht es heute ums Überleben.

Christen im Iran der Ayatollahs: Der Iran ist seit der Revolution des Ayatollah Khomeini ein streng islamischer Staat, in dem allerdings drei religiöse Minderheiten in der Verfassung (Artikel 13) anerkannt sind und als Bürger zweiter Klasse behandelt werden: Christen, Juden und Zoroastrier. Alle anderen Minderheiten sind schärferen Verfolgungen ausgesetzt, nicht nur die Bahai und Buddhisten, sondern auch sunnitische Muslime. Nach offiziellen Angaben leben rund 79 000 Christen im Iran. Experten schätzen aber bis zu 250 000 Christen, wovon die große Mehrheit Armenier seien. Die Katholiken haben Kirchen, um ihren Gottesdienst zu feiern. Jede Missionstätigkeit ist streng untersagt.

Die Kirchen im Nahen Osten haben apostolische Wurzeln und wollen als Teil ihrer jeweiligen Gesellschaften und ihrer Kultur verstanden und akzeptiert werden. Die alteingesessenen Kirchen mit ihren in vorislamische Zeiten zurückreichenden Traditionen haben deshalb Probleme mit evangelikalen Gruppen, die „die Heilige Schrift benutzen, um Israels Besetzung von Palästina zu rechtfertigen, und damit die Lage der christlichen Araber noch schwieriger machen“, wie die Lineamenta der Synode formulieren, und mit ausländischen Missionaren, die im Irak im Schlepptau der amerikanischen Besatzer kamen und wieder gehen, aber gerade dadurch das Vorurteil vieler Muslime gegen das „westliche“ Christentum zu bestätigen schienen. Die Vorbereitungsdokumente der Synode bekräftigen deshalb, dass die Kirchen im Orient sich zum Nahen Osten gehörig fühlen und Solidarität mit dieser Region leben.

Christlich muslimischer Proporz im Libanon

Bis zu dem von 1975 bis 1992 tobenden Bürgerkrieg war der Libanon das einzige arabische Land mit christlicher Mehrheit. Heute stellen die überwiegend maronitischen Christen noch rund 36% der Einwohner. Ihre durch die Proporzverfassung gesicherten Rechte nehmen sie wahr: Der Staatspräsident muss stets maronitischer Christ sein, wie der Regierungschef Sunnit und der Parlamentspräsident Schiit ist. Die Mandate der Nationalversammlung sind paritätisch auf Christen und Muslime verteilt.

Nicht nur die Maroniten, sondern auch griechisch-orthodoxe, melkitische (griechisch-katholische), armenisch-apostolische und syrisch-orthodoxe Christen sowie die Katholiken des armenischen, chaldäischen und lateinischen Ritus unterhalten im Libanon zahlreiche Schulen und caritative Einrichtungen. Paul Karam, der Direktor der Päpstlichen Missionswerke im Libanon, erklärt: „Die verschiedenen katholischen, orthodoxen und protestantischen Gemeinschaften sind autonom in Legislative, in Rechtsprechung und Verwaltung, nicht nur was die Ausübung der Religion betrifft, sondern auch zivilrechtlich bei der Eheschließung und in Familienangelegenheiten“. Die Verfassung des Landes der Zedern respektiere „Gott und alle Religionen und garantiert freie Rechtsprechung, Kult, Heirat und Familienangelegenheiten betreffend“.

Der Patriarch der Maroniten, Kardinal Nasrallah Sfeir, ist die unbestrittene moralische Autorität für die Christen im Land der Zedern. Sfeir kämpft für politische Gerechtigkeit: Früher trat er lautstark für den Abzug der Syrer aus dem Libanon ein, 2006 verurteilte er die Angriffe Israels ebenso wie die Terroranschläge der schiitischen Hisbollah. Das Hauptproblem der christlichen Kirchen ist die anhaltende Abwanderung der gebildeten Christen. Das zentrale Problem des Landes ist, dass es seit Jahrzehnten von anderen Staaten, insbesondere von Israel, Syrien und dem Iran zum Schauplatz und Spielball ihrer Interessen und Konflikte gemacht wird.

Jordanische Tradition der Religionsfreiheit: In Jordanien, wo sich König Abdullah II. ebenso wie vor ihm sein Vater für den Dialog der monotheistischen Religionen interessiert und für ein friedliches Zusammenleben aller Bürger engagiert, leben 210 000 Christen unter 5,7 Millionen Einwohnern. Obwohl der Islam im hashemitischen Königreich Staatsreligion ist (Artikel 2 der Verfassung), ist jede Diskriminierung aus religiösen Gründen verboten (Artikel 6), sind die Christen im Parlament vertreten und genießen Kultusfreiheit (Artikel 14). 48% der Christen sind griechisch-orthodox, 32% sind Katholiken des lateinischen Ritus, die zum Lateinischen Patriarchat von Jerusalem gehören, und 16% sind melkitische Katholiken. Muslimen ist der Religionswechsel verboten.

Jordanien sei ein friedliches Land, das die Rechte der Christen respektiert, meint Pater Rifat Bader vom Lateinischen Patriarchat von Jerusalem. Papst Johannes Paul II. bescheinigte dem König von Jordanien bei seinem Besuch in Amman im Jahr 2000 ausdrücklich: „Eure edle Tradition der Achtung aller Religionen gewährleistet die Religionsfreiheit“. Und unmittelbar vor dem Besuch Benedikts XVI. im Vorjahr meinte König Abdullah II. in einem Interview mit dieser Zeitung: „Wir sind stolz auf unsere christlichen Mitbürger und auf den Beitrag, den sie für ihr Land leisten. Wir sind auch stolz auf das Erbe der Toleranz und des Zusammenlebens in unserem Land“.

Leidtragende des israelisch- palästinensischen Konflikts: Die Lineamenta der Synode schildern, wie „die israelische Besetzung der palästinensischen Gebiete“ den Christen das alltägliche Leben schwer machen, auch den Zugang zu den Heiligen Stätten. Dazu kommt der alle Christen schwächende Streit unter den Riten, der bereits in Osmanischer Zeit dazu führte, dass der Sultan 1852 die Schlüssel der Grabeskirche in Jerusalem zwei muslimischen Familien anvertraute, damit der Zugang der christlichen Konfessionen friedlich geregelt sei. In Israel und Palästina leben laut dem melkitischen Erzbischof Elias Chacour heute maximal 140 000 Christen, von denen mehr als die Hälfte griechisch-katholische Melkiten seien, etwa 45 000 griechisch-orthodox, 11 000 katholisch und 3 000 armenische Christen.

Die arabischen Christen teilen in Israel die Diskriminierungen ihrer muslimischen Landsleute. Sie werden als kleine und schwache Gruppe mehrfach zu Leidtragenden des israelisch-palästinensischen Konfliktes: in Israel ebenso wie in der Westbank und im Gazastreifen.

Quelle: Die Tagespost und koptisch.wordpress.com