23.05.2019

Naher Osten: Es findet ein „Christozid“ statt

Der Greifswalder Bischof Abromeit fordert stärkeren Einsatz der Kirchen

Greifswald (idea) – In Teilen des Nahen Ostens findet eine systematische Ermordung und Vertreibung von Christen, ein „Christozid“, statt. Diese Ansicht äußerte der Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche), Hans-Jürgen Abromeit (Greifswald). Er sprach am 23. Mai bei der internationalen Fachtagung „Orientalisches Christentum. Perspektiven aus der Vergangenheit für die Zukunft“ im Alfried Krupp Wissenschaftskolleg in Greifswald. Christen würden in manchen Gebieten „gezielt in Angst und Schrecken versetzt“, so Abromeit: „Es werden Anschläge auf Kirchengebäude durchgeführt, zum Teil werden Gottesdienstbesucher ermordet, so in Ägypten, Syrien und dem Irak. Familien werden abgeschreckt, in ihren Häusern zu wohnen, und so werden sie vertrieben.“ Repräsentanten der Kirchen würden bedroht und entführt, einige seien ermordet worden. „Damit hat eine lange Geschichte der Diskriminierung von Christen in der islamischen Welt einen Höhepunkt und einen Scheidepunkt erreicht. Hunderttausende von Christen haben in den letzten 20 Jahren ihre Heimat verlassen.“

Einseitig islamistische Ausrichtung des Orients

Mit der massenhaften Vertreibung und Ermordung von Christen stelle sich heute die entscheidende Frage, ob Christen in der Region, die Wiege des Christentums war, noch eine Zukunft haben. „Bleiben oder Fliehen, das ist heute für fast jede christliche Familie zwischen Ägypten und Iran eine existenzielle Frage.“ Dies bedeute nicht nur millionenfache menschliche Tragödien. Das Verschwinden des Christentums aus dem arabischen Raum hätte auch politisch kaum absehbare Folgen: „Mit der radikalen Reduzierung des Christentums in seinen Ursprungsländern Palästina, Jordanien, Syrien, Irak und Ägypten würde sich die Kultur dieser Region in gravierender Weise verändern. Sie wäre im Hinblick auf ihren Wertekanon und ihr Menschenbild einseitig islamisch bis islamistisch ausgerichtet. Mit dem Christentum verschwände ein wichtiger Garant für Pluralismus in der Region und eine Brücke zum Westen.“ Kirche im Orient sei heute eine „Märtyrerkirche“, so der Bischof: „Sie hält in Zeiten der Bedrohung am wahrhaftigen Bekenntnis ihres Christseins fest. Sie ist darin zu ehren und ihre Märtyrer sind im Gedächtnis zu halten.“

Die Märtyrer als Verpflichtung für westliche Christen

Abromeit forderte mehr Einsatz von den westlichen Kirchen und Regierungen für die verfolgten Christen: „Die Kirchen in Europa und Amerika müssen alles in ihrer Macht Stehende tun, um die christlichen Gemeinden in Nahost zu stärken und ihnen in ihrer schwierigen Lage zu helfen. Sie sollten in dieser Hinsicht auch Druck auf ihre Regierungen ausüben.“ Die Relevanz des Themas sei von den westlichen Regierungen bislang nicht erkannt worden. Das Leid und das Glaubenszeugnis der Christen im Nahen Osten müsse dabei Ansporn und Verpflichtung sein: „Ihr Schicksal sollten wir sehen, wenn wir über Themen wie den Nahost-Konflikt, Flüchtlinge, aber auch Kirchenasyl und Konversion sprechen.“ Wertvoll sei jeder einzelne Christ, der bewusst in der Region bleibe. Als Beispiele nannte er den Betlehemer Pfarrer Mitri Raheb, der Bildungseinrichtungen für Muslime und Christen geschaffen hat, sowie den Palästinenser Daoud Nassar, der Begegnungen zwischen christlichen und muslimischen Jugendlichen organisiert. „Sie geben der Christenheit im Orient ein Gesicht und eine Stimme“, sagte Abromeit. Die Fachtagung findet noch bis 24. Mai statt. Veranstalter sind Professor Michael Altripp, Byzantinist und Archäologe am Lehrstuhl für Kirchengeschichte der Universität Greifswald, und Professor Harald Suermann, katholischer Theologe und Orientalist, der am Institut für Orient- und Asienwissenschaften der Universität Bonn lehrt.