26.11.2019

Türkei: Islam und Demokratie können nicht koexistieren

Türkischer Schriftsteller: Zülfü Livaneli: „Zeigen Sie mir ein einziges demokratisches islamisches System!“

Berlin (idea) – Islam und Demokratie können nicht koexistieren. Diese Ansicht vertrat der türkische Schriftsteller und Filmemacher Zülfü Livaneli in einem Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“ (Berlin/Ausgabe 26. November). Der Islam sei zugleich ein politisches System, so der 73-Jährige: „Es akzeptiert in keinem Fall die Demokratie. Zeigen Sie mir ein einziges demokratisches islamisches System!“ Wie er berichtet, hätten weder seine Mutter noch seine Großmutter in der Türkei ein Kopftuch getragen: „Wir kannten keine verschleierte Türkei. Das kam später, war ideologisch motiviert, und leider haben sie sich als Milli Görüs in Deutschland organisiert.“ Auf die Aussage der Interviewerin Cigdem Toprak, in Deutschland sähen viele im Kopftuch die Freiheit der Frau, antwortet Livaneli, dass es mit Freiheit „nichts zu tun“ habe: „Die das behaupten, kennen den Islam nicht.“ Die Interviewerin wirft ein, dass man Livaneli für seine Aussage, Islam und Demokratie seien unvereinbar, in Deutschland als Rassisten bezeichnen könne. Das weist der Schriftsteller zurück: „Kann ein Kind sich aussuchen, ob es das Kopftuch trägt? Sie verschleiern fünfjährige Kinder, sehen sie als sexuelles Objekt.“ Wer in diesem Zusammenhang die Ansicht vertrete, dass Eltern das Recht hätten, ihre Kinder nach den eigenen religiösen Überzeugungen zu erziehen, begehe ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit: „Jeder, der sich gegen die Bewegung für Menschenrechte stellt, ist in Wahrheit ein Faschist.“

Aufnahme von mehr als fünf Millionen Flüchtlingen: eine bedeutende Leistung

Die Aufnahme von „mehr als fünf Millionen“ Flüchtlingen in der Türkei bezeichnete er ferner als bedeutende Leistung. Das sei ein Verdienst des gesamten Landes. In manchen Städten lebten mehr Syrer als türkische Einwohner, und es entstünden auch soziale Konflikte: „Die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch, die Syrer arbeiten ja auch, und Menschen, die ihren Job verloren haben, sind verärgert über die Flüchtlinge.“ Über die türkische Gesellschaft sagte Livaneli, sie bestehe heute aus drei Polen: „Den reaktionären Gläubigen, repräsentiert durch die AKP, den progressiven Laizisten, die von der CHP vertreten werden (hier gibt es aber auch Nationalisten), und der dritte Pol sind die Kurden.“ Livaneli wurde 1971 inhaftiert und musste später die Türkei verlassen. 1984 kehrte er wieder zurück. Er ist Autor der Romane „Serenade für Nadja“ und „Glückseligkeit“. Vor 25 Jahren trat Livaneli als Bürgermeisterkandidat in Istanbul an und verlor damals gegen den heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.