27.11.2019

Deutschland: Gesetzentwurf zu Konversionstherapien gefährdet Religionsfreiheit

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat den Referentenentwurf „Sexuelle-Orientierung-und-geschlechtliche-Identität-Schutz-Gesetz“ (SOGISchutzG) auf den Weg gebracht.

Darin geht es um das Verbot sogenannter Konversionstherapien. Doch im Kern geht es auch um mehr: Dieser Entwurf greift in die Religionsfreiheit ein. Von idea-Redaktionsleiterin Daniela Städter.

Was steht in dem Entwurf?

Konversionsbehandlungen sollen bei Personen unter 18 Jahren verboten werden. Zwischen 16 und 18 Jahren gilt eine Ausnahme, wenn die Jugendlichen nachweislich die Tragweite erfassen. Altersunabhängig darf niemand bei seiner Entscheidung, sich behandeln zu lassen, einem „Willensmangel“ unterliegen. Dazu zählt laut diesem Entwurf Täuschung, Irrtum, Zwang oder Drohung. Ferner soll bei Menschen unter 18 Jahren jegliches Bewerben, Anbieten und Vermitteln von Konversionsbehandlungen verboten sein und ab 18 Jahren nur dann, wenn dies „öffentlich“ geschieht. Verstöße können entweder als Straftat mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder als Ordnungswidrigkeit (z.B. bei Werbung) mit einem Bußgeld von bis zu 30.000 Euro geahndet werden. Am 25. November fand im Ministerium eine Verbände-Anhörung statt, bei der auch die Deutsche Evangelische Allianz vertreten war. Ob Änderungen eingearbeitet werden, wird sich noch in diesem Jahr zeigen: Den finalen Gesetzentwurf will Spahn bis zum 13. Dezember ins Kabinett einbringen. Den Austausch bei der Anhörung bezeichnete der Beauftragte der Deutschen Evangelischen Allianz am Sitz der Bundesregierung, Uwe Heimowski, gegenüber idea als konstruktiv.

Geht es ausschließlich um Homosexualität?

Nein. Der Gesetzentwurf umfasst daneben auch Bisexualität sowie Trans- und Intersexualität. Intersexuelle sind Menschen, die sich genetisch, hormonell oder anatomisch nicht eindeutig dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuordnen lassen. Transgender zu sein bedeutet, dass man biologisch gesehen, also von den Geschlechtsorganen her, eindeutig ein Mädchen oder Junge ist, aber das Gefühl hat, im falschen Geschlecht zu stecken.

Welche Formulierungen sind problematisch?

Das Gesetz kriminalisiert alle „Maßnahmen“, „die auf Veränderung oder Unterdrückung der sexuellen Orientierung oder der selbst empfundenen geschlechtlichen Identität gerichtet sind“ und „am Menschen durchgeführt werden, um bestimmte physische oder psychische Wirkungen zu erzielen“. Medizinische Behandlungen sind von dieser Definition ausgenommen. Problematisch ist die unbestimmte Formulierung, wie der Rechtsanwalt von der christlichen Menschenrechtsorganisation ADF International (Allianz zur Verteidigung der Freiheit), Felix Böllmann (Wien), gegenüber idea erläuterte. Es lasse sich nicht ausschließen, dass diese Maßnahmen-Definition auch ein Gebet umfassen könnte.

Laut dem Leiter des Instituts für dialogische und identitätsstiftende Seelsorge und Beratung (früher: wüstenstrom), Markus Hoffmann (Tamm bei Ludwigsburg), könnte ein Seelsorger, der einen Hilfesuchenden sage, er solle seine Homosexualität nicht praktizieren, weil dies nach der Bibel Sünde sei, nach dieser Regelung wegen Unterdrückung sexueller Orientierung belangt werden. Dies gelte auch für einen Priester im Beichtstuhl, der Absolution für eine solche Sünde erteile und den Beichtenden auffordere, sie nicht wieder zu begehen.

Noch problematischer wird es mit Blick auf die Begründung zum Gesetzentwurf, derzufolge eine Sanktion droht, wenn bei der Einwilligung ein Willensmangel in Form eines „Irrtums“ vorlag. Beispiel: Ein Erwachsener lässt einen Christen für sich beten. Das geschieht ohne Zwang, und in dem Gebet geht es um die Versöhnung mit dem eigenen Körper. Später sagt die Person, es habe sich um einen „Irrtum“ gehandelt, sie habe das gar nicht gewollt, es handle sich um einen aufgezwungenen Konversionsversuch: „Dies könnte zu einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren führen: Damit muss dann jeder Geistliche, Seelsorger und Mitchrist rechnen“, sagt ADF-Experte Böllmann. Denn niemand kann ausschließen, dass sich das Gegenüber nicht irrt. Diese Einschätzung teilt auch ein christlicher Fachverband, der sich zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht offiziell in den Medien äußern will. Dort gibt es die Annahme, dass kein Therapeut oder Berater diese Menschen mehr aufnimmt. Denn er muss befürchten, dass er zu irgendeinem späteren Zeitpunkt dafür belangt wird. Dadurch werde die therapeutische, seelsorgerliche und sogar die geschwisterliche Beziehung unter Christen vergiftet.

Welche Auswirkung könnten die Vorgaben für die christliche Jugendarbeit haben?

Folgendes Szenario: Bei einer christlichen Jugendfreizeit erzählt ein Jugendlicher, dass er sich transsexuell fühlt, aber verunsichert ist. Ein Leiter betet mit dem Jugendlichen und bittet darum, dass dieser Klarheit bekommt und sich mit seinem Geschlecht versöhnt. Später fühlt sich der Jugendliche dadurch bedrängt, erzählt es seinen Eltern, die zeigen den betenden Leiter an. Dieser hätte dann ein Problem, sagt Böllmann. Denn gemäß der aktuellen Lage im Gesetzentwurf wäre das eine Straftat: „Das ist unhaltbar, da es die Glaubens- und Religionsfreiheit der handelnden Personen unangemessen einschränkt.“

Was könnte der Entwurf für Seelsorger, Sozialarbeiter oder Lehrer an Schulen bedeuten?

Angenommen, ein transsexueller Schüler wendet sich wegen Schwierigkeiten im Schulalltag an einen Schulsozialarbeiter. Nach dem Gespräch wünscht der Schüler weitergehende Beratung. Der Schulsozialarbeiter verweist an einen Pastor mit Erfahrung in vergleichbaren Situationen. Böllmann: „Jede Empfehlung von Beratern, die diesen Fragestellungen nicht automatisch affirmativ, sondern offen begegnen, könnte nach dem Entwurf als Vermittlung einer verbotenen Maßnahme verstanden werden. Jede hinterfragende Aussage der Mitarbeiter selbst könnte als ,Werbung‘ ausgelegt werden.“ Dann drohten Bußgelder von bis zu 30.000 Euro.

Was fordert die Deutsche Evangelische Allianz?

Sie setzt sich dafür ein, den Entwurf an den oben genannten Stellen deutlich zu verbessern, und hat in ihrer Stellungnahme entsprechende Vorschläge gemacht. Sie warnt, die Freiheit der Religionsausübung zu gefährden. Menschen müssten vor Übergriffen im Bereich ihrer sexuellen Orientierung geschützt werden und deren Realisierung müsse die persönliche Entscheidung einer Person bleiben, aber die Formulierungen im Entwurf führten zu erheblichen rechtlichen Unsicherheiten. Der Generalsekretär der Allianz, Reinhardt Schink (München), warnt: „Ein Gesetz, dessen Ziel der Schutz der Freiheit ist, darf nicht seinerseits in die Persönlichkeitsrechte und die Grundrechte der Religions- und Meinungsfreiheit eingreifen.“ Insbesondere müsse klar definiert sein, wie Information und Werbung voneinander zu differenzieren seien. Die Allianz lehnt es auch ab, jede nicht ausgelebte Sexualität als „Unterdrückung“ darzustellen: „Eine Hilfestellung, um in einem selbst gesteckten Rahmen zu leben, ist keine Unterdrückung.“

Was sagt die evangelische Kirche?

Die EKD lehnt in ihrer Stellungnahme Konversionstherapien „entschieden“ ab. Die Absicht, eine rechtliche Regelung zu schaffen, die die Entwicklung und Entfaltung der Persönlichkeit auch für nicht heterosexuelle Jugendliche besser schützt, wird begrüßt. Fraglich erscheine aber, ob der Straftatbestand der Unterdrückung hinreichend klar bestimmt sei. Denn das seelsorgliche Gespräch mit Heranwachsenden müsse davor geschützt werden, undifferenziert unter Strafandrohung gestellt zu werden.