21.03.2019

Syrien: Der christliche Arzt von Aleppo

Wie ein Pastor und Arzt aus Aleppo Menschen in Not hilft. Ein Bericht von idea-Redakteur Klaus Rösler.

„Sie hätten lieber bleiben sollen!“ Ungewöhnliche Worte aus dem Mund eines syrischen Christen: Der Chirurg und Baptistenpastor Jany Haddad aus Aleppo in Syrien bedauert es, dass so viele Flüchtlinge sein Land verlassen haben. Während des seit 2011 tobenden Bürgerkriegs habe es im Land immer sichere Zonen gegeben. Doch zwölf Millionen Bürger seien stattdessen fortgegangen: „Das war eine regelrechte Phobie“, sagt er der Evangelischen Nachrichtenagentur idea: Wenn ein Nachbar oder Freund gegangen sei, habe man sich ihm angeschlossen, auch wenn es dazu keinen Grund gegeben habe. Christen hätten mitgemacht. Haddad absolvierte gerade eine Vortragsreise in Belgien und Holland, um über seine Erfahrungen zu berichten. Dabei machte er einen Abstecher nach Deutschland. Hier wurde er von der Leiterin und Gründerin des christlichen Hilfswerks „Himmelsperlen International“, der Baptistenpastorin i. R. Margret Meier (Sulzbach/Taunus), begleitet.

In Aleppo hätten vor dem Bürgerkrieg unter den 2,7 Millionen Einwohnern 400.000 Christen gelebt. Heute seien es nur noch 30.000. Haddad ist bewusst geblieben, um den Menschen in Not beizustehen. Zusammen mit seiner von ihm 2003 gegründeten 100 Mitglieder zählenden Gemeinde hat er zahlreiche Hilfsaktionen gestartet. Er hofft, dass möglichst viele der Flüchtlinge wieder zurückkehren: „Im Westen werden sie nicht glücklich.“ Der dort vor allem auf Arbeit und Beruf ausgerichtete Lebensstil passe nicht zum Lebensstil der Menschen aus dem Nahen Osten, der stärker die Gemeinschaft und Familie als Werte herausstellt. Deshalb hat er auch alle Angebote ausgeschlagen, sich als Arzt irgendwo im Ausland niederzulassen: „Ich gehöre nach Aleppo“, bekennt er.

Eine Vision: Brunnen bauen

Eine besonders spektakuläre Aktion rief Haddad 2012 ins Leben. Bei einer Konferenz christlicher Leiter habe er den Impuls verspürt, – er selbst spricht von einer Vision –, dass er Brunnen bauen solle. Er habe das mit den anderen christlichen Leitern besprochen – und sei ausgelacht worden. Wozu Brunnen, wenn es in der Wirtschaftsmetropole doch eine gut funktionierende Wasserversorgung gibt? Die ersten drei Brunnen zum Preis von jeweils zwischen 3.000 und 5.000 Euro finanzierte er aus der eigenen Tasche. Das wirkte überzeugend. Andere schlossen sich ihm an. Am Ende – im März 2014 – gab es 20 Brunnen in der Stadt. Alle befanden sich auf dem Gelände von Kirchen sowie christlichen Schulen und Organisationen. Haddad lässt sich bei allen seinen Hilfsaktionen von dem Bibelvers leiten: „Darum, solange wir noch Zeit haben, lasst uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen“ (Galater 6,10). Wenige Tage später zerstört eine Bombe die komplette Wasserversorgung in der Stadt. Sieben Monate lang bleiben alle Wasserhähne trocken. Haddad ließ 39 Transporter zu Tankwagen umbauen und versorgte damit einen großen Teil der notleidenden Bevölkerung. Den Bau der Brunnen setzte er während des Krieges fort. Inzwischen gibt es 41. Das Wasser gab er kostenlos ab – und sorgte so dafür, dass Einwohner überleben konnten.

Der Arzt rief weitere Hilfsaktionen ins Leben. Während des Krieges, der in Aleppo 1.700 Tage andauerte, versorgte seine Gemeinde 4.825 Familien mit Lebensmitteln. Unterstützung bekam sie und das von ihr gegründete Hilfswerk „Lebendige Hoffnung für Familien“ von der britischen Organisation „Barnabas Fund“ (Coventry). Weiter kümmerte man sich um 98 Witwen, die ihre Ehemänner im Krieg verloren hatten, und um 192 Waisen und Halbwaisen.

Hilfe für Witwen und Waisen

Noch während des Krieges startete er ein Programm für die späteren Friedenszeiten und half Studenten – vor allem Waisen und Flüchtlingen – mit finanziellen Zuwendungen, damit sie studieren konnten. Weiter unterstützt er das St. Lukas Medizinzentrum, in dem fast 1.000 Patienten jeden Monat behandelt werden. Darüber hinaus sammelte er Handwerker um sich, um den syrischen Flüchtlingen zu helfen, ihre im Krieg zerstörten Häuser zu reparieren. „Das ist besser, als Wohnungen anzumieten“, gibt er zu bedenken. 123 Häuser und Wohnungen wurden bisher restauriert. Die Gemeinde kümmert sich darüber hinaus um über 3.200 Senioren, die von ihren Familien verlassen wurden. Sie werden besucht, auch medizinisch versorgt. 73 Freiwillige haben sich im Nachbarland Libanon zu Trauma-Experten ausbilden lassen, um traumatisierten Familien beizustehen.

Haddad weist ausdrücklich darauf hin, dass sich alle Hilfsprogramme ausschließlich an Christen richten. Sind ihm Muslime in ihrer Not egal? „Nein“, sagt er. Aber angesichts der begrenzten Möglichkeiten aller Hilfsangebote müsse man Prioritäten setzen.

 

Muslime brauchen Begleitung

Den Ansatz anderer Hilfswerke, Muslime nur durch tätige Nächstenliebe für die Liebe Gottes zu begeistern, weist er zurück. „Muslime brauchen eine intensive, langfristige geistliche Begleitung, bevor sie Christen werden.“ Entsprechende Angebote unterhalte seine Gemeinde in Aleppo. Man schließe Freundschaften mit Muslimen, wenn sie regelmäßig in den Gottesdiensten auftauchten. Man lade sie zu Jüngerschafts- und Taufkursen ein. Und wenn sie weiter am christlichen Glauben interessiert seien, taufe man sie und nehme sie in der Gemeinde auf. Rund 60 Prozent aller Gemeindemitglieder der Baptisten seien ehemalige Muslime. So ein Prozess könne sich über bis zu drei Jahre erstrecken, meint er.

Eine Gottesbegegnung im Traum

Haddad stammt aus einer armenisch-christlichen Familie und wuchs in Kuwait auf. Dass er Christ wurde, ist keine Selbstverständlichkeit. Als Teenager machte er sich auf die Suche nach der Wahrheit. Dreimal las er nach eigenen Angaben die gesamte Bibel durch, zehnmal das Neue Testament. Und nichts passierte. Er versuchte es mit dem Islam, las den Koran, besuchte die Moscheen. Gott blieb ihm fremd. Er beschaffte sich religiöse Literatur aus dem Hinduismus, Buddhismus, Taoismus. Er studierte westliche Philosophen. Einen Sinn im Leben entdeckte er nirgendwo. Schließlich stellte er Gott ein Ultimatum. Das war am 13. August 1973. Da war er 17 Jahre alt. Er wollte 24 Stunden lang fasten und auch nichts trinken. Wenn Gott sich ihm in dieser Zeit nicht offenbare, sei er für immer mit ihm durch. Wenige Stunden vor Ablauf des Ultimatums sei er eingeschlafen. Und tatsächlich habe er im Traum eine Gottesbegegnung gehabt: Er befand sich in einer Wüste, nahe an einem Abgrund. Es war dunkel. Er konnte nichts sehen, doch er musste auf die andere Seite. Er habe einen Schritt ins Ungewisse gemacht und dabei gespürt, dass er gehalten wurde. Auf der anderen Seite angekommen, stellte er schließlich fest, dass er sich gar nicht in der Wüste, sondern in einem blühenden Garten befand. Gott habe ihm so gezeigt, dass Stolz und Hochmut verhindert hätten, ihn und sein Wirken zu erkennen. Er sei dann aufgewacht und habe den Rest der Nacht geweint. Rückblickend sagt Haddad: „Das war ein tiefes Bekehrungserlebnis, das mich bis heute durchträgt.“