25.05.2023

Deutschland: Beten verboten

Die Ampelkoalition will ein Gesetz gegen „Gehsteigbelästigung“ vor abtreibungsbezogenen Einrichtungen verabschieden. Von IDEA-Redakteur David Wengenroth

Eine solche Regelung würde die Meinungs- und Religionsfreiheit von Christen verletzen, warnt die christliche Menschenrechtsorganisation ADF International (Allianz zur Verteidigung der Freiheit). Ein Blick nach Großbritannien zeigt, was auch in Deutschland bald Realität sein könnte. 

Am 6. März wurde Isabel Vaughan-Spruce in Birmingham von der Polizei festgenommen. Ihr Vergehen: Die 46-Jährige hatte still in der Öffentlichkeit gebetet. Und das ist in Großbritannien mittlerweile verboten – zumindest in der Umgebung von abtreibungsbezogenen Einrichtungen. Vaughan-Spruce ist Leiterin der britischen Lebensrechts­organisation „March for Life“ (Marsch für das Leben) und betete in der Nähe der Abtreibungsklinik „Robert Clinic“. Die Einrichtung war zu diesem Zeitpunkt geschlossen, aber die Stadtverwaltung von Birmingham hatte einige Monate zuvor eine „Schutzzone“ beschlossen: In der Umgebung der „Robert Clinic“ sind Gebete gegen Abtreibungen verboten. Auch solche, die man weder hört noch sieht. In einem auf Twitter verbreiteten Video der Festnahme hört man einen Polizisten sagen: „Die Schutzanordnung besagt, dass man sich nicht hier draußen aufhalten darf.“ Vaughan-Spruce antwortet: „Ich protestiere nicht, ich bete nur still.“ Darauf der Beamte: „Aber Sie haben gesagt, dass Sie beten, und das ist eine Straftat.“

Gesetz soll „möglichst bald“ kommen

Wenn es nach Bundesfamilienministerin Lisa Paus von den Grünen geht, könnte es in Deutschland bald ähnliche Vorfälle geben. In dem Koalitionsvertrag der Ampelregierung vereinbarten Grüne, SPD und FDP schon 2021 ein Verbot von sogenannter „Gehsteigbelästigung“ vor Abtreibungskliniken und -beratungsstellen. Anfang Mai erklärte Paus gegenüber der linken Berliner „tageszeitung“, die Einbringung des Gesetzentwurfs habe sich verzögert, aber jetzt werde er „möglichst bald“ kommen. „Die Gehsteigbelästigung ist ein Unding. Frauen in extrem schwierigen Situationen sind zur Beratung verpflichtet und werden auf dem Weg dahin belästigt und bedroht. Das ist ein unhaltbarer Zustand“, sagte Paus.

Wenn die Polizei fragt: „Woran denken Sie?“

In Großbritannien gibt es das gewünschte Verbot bereits. Am 7. März verabschiedete das britische Parlament ein Gesetz zur Einführung von „Zensurzonen“ um Abtreibungskliniken. Es verbietet in der Umgebung der Einrichtungen jede Form von „Beeinflussung“. Vorbild waren die bereits bestehenden „Schutzzonen“ in Städten wie Birmingham. In der Debatte beantragte der konservative Abgeordnete Andrew Lewer aus Northampton, stille Gebete und einvernehmliche Unterhaltungen ausdrücklich von dem Verbot auszunehmen. Er verurteile auch jede Belästigung von Schwangeren, sagte der Parlamentarier. Aber davon seien stille Gebete und einvernehmliche Unterhaltungen meilenweit entfernt. „Die Polizei sollte nicht fragen: Woran denken Sie gerade?“, so Lewer. Sein Änderungsvorschlag wurde mit 299 zu 116 Stimmen abgelehnt.

Kriminalisierung von Gedanken

Durch das neue Gesetz wurde zum ersten Mal in der Geschichte des Vereinigten Königreichs ein „Gedankenverbrechen“ eingeführt, kritisiert der britische Zweig von ADF International. Der zuständige Jurist der Organisation, Jeremiah Igunnubole, sprach von einem „Wendepunkt für die Grundrechte und Freiheiten in unserem Land“ und einer „Kriminalisierung der Gedankenfreiheit“. Die rechtlichen Folgen sind in der Tat grotesk: So ist es zwar weiterhin erlaubt, vor einer Abtreibungsklinik auf der Straße zu stehen und an gar nichts zu denken – aber sobald man in Gedanken ein Gebet spricht, wird man zum Straftäter.

Gebetsmahnwachen im Visier

Das bizarre britische Beispiel könnte auch in Deutschland Schule machen, fürchtet der Menschenrechtsexperte von ADF International, Felix Böllmann. Die vollmundigen Ankündigungen der Familienministerin, gesetzlich gegen Belästigung und Bedrohung von Schwangeren vorzugehen, ergäben nämlich überhaupt keinen Sinn, erklärt der Jurist. „Belästigungen im Rechtssinne sind schon jetzt verboten und je nach Intensität sogar strafbar.“ Schon nach der aktuellen Rechtslage sei es zum Beispiel unzulässig, die Eingänge von Abtreibungskliniken und -beratungsstellen zu blockieren oder durch Geschrei Druck auf die Besucherinnen auszuüben.

 

Das nährt den Verdacht, dass Paus zwar von „Belästigung und Bedrohung“ von Schwangeren spricht, in Wirklichkeit aber gerade die stillen und friedfertigen Aktionen von Lebensschützern im Visier hat. Damit geht die grüne Ministerin auf Konfrontationskurs zum Grundgesetz. „Zensurzonen“ nach britischem Vorbild würden gegen elementare Grundrechte wie die Versammlungs-, Meinungs- und Religionsfreiheit verstoßen, sagt Böllmann.

Ähnliche Fälle gab es bereits in Pforzheim

Mit dieser Einschätzung stützt sich der Jurist auf mehrere Gerichtsurteile. Ähnlich wie in England gibt es nämlich auch in Deutschland schon seit Jahren Versuche von Kommunen, friedliche Gebetsaktionen von Lebensschützern vor abtreibungsbezogenen Einrichtungen zu unterbinden. In Pforzheim traf es die Initiative „40 Tage für das Leben“: Die Gruppe trifft sich zweimal im Jahr zu stillen Gebetsversammlungen vor der örtlichen Niederlassung der Beratungsorganisation „Pro Familia“, die an anderen Standorten auch Abtreibungen durchführt. Dabei standen die Abtreibungsgegner nicht direkt vor dem Gebäude, sondern auf der anderen Seite einer vierspurigen Straße. Trotzdem ordnete die Stadtverwaltung 2019 an, dass die Aktion während der Öffnungszeiten nur außer Sichtweite der Niederlassung stattfinden dürfe. Zur Begründung erklärte die Stadt, Schwangere könnten beim Besuch der Beratungsstelle durch die Mahnwache stigmatisiert und in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt werden.

… und in Frankfurt am Main

Gegen diese Auflage zog die Pforzheimer Lebensrechtlerin Pavica Vojnović mit Unterstützung von ADF International vor Gericht. In der ersten Instanz wies ein Verwaltungsgericht ihre Klage noch ab, aber vor dem baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshof siegte sie im September 2022 auf ganzer Linie. Die friedliche Versammlung durfte nicht aus der Nähe der Beratungsstelle verbannt werden, da von ihr keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausging. In ihrer Begründung betonten die Richter die grundlegende Bedeutung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Sie dürfe nicht ohne triftige Gründe eingeschränkt werden. Ebenso deutlich äußerte sich das Verwaltungsgericht Frankfurt zu einer ähnlichen Auflage der Mainmetropole gegen die dortige Initiative „40 Tage für das Leben“. Auch dort wollte die Kommune das stille Gebet aus der Sichtweite einer „Pro Familia“-Niederlassung verbannen. Das Gericht befand in einer Eilentscheidung, dass die Einschränkung gegen das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit verstieß.

Eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung

In dem Konflikt um die „Gehsteigbelästigung“ geht es also um eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung. „Egal wo man in der Diskussion über das Lebensrecht ungeborener Kinder steht, wir sollten uns einig sein über den Schutz für Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit“, sagt Böllmann. „Zensurzonen, Gebetsverbote und die Verbannung von Hilfsangeboten haben in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat keinen Platz.“