23.04.2024

Ukraine: „Unglaubliche Selbstaufopferung“ der Evangelikalen

Institutsleiter aus Lwiw berichtet im Deutschen Pfarrerblatt

Kassel/Lwiw (IDEA) – Der Direktor des Eastern European Institute of Theology, Roman Soloviy (Lwiw/Lemberg), hat den Einsatz der ukrainischen Evangelikalen für ihr Land gewürdigt, das seit über zwei Jahren unter dem russischen Angriffskrieg leidet. Diese kritischen Umstände hätten „das tiefe Ethos der evangelikalen Kirchen in der Ukraine ans Licht gebracht“. Sie verkörperten „mit unglaublicher Selbstaufopferung und Hingabe täglich die wichtigsten Gebote des Reiches Gottes“: Liebe, Barmherzigkeit und Mitgefühl, schreibt der Theologe in der aktuellen Ausgabe des Deutschen Pfarrerinnen- und Pfarrerblatts. Von den ersten Stunden des Krieges an hätten Tausende von evangelikalen Gemeinden ohne jegliche Koordination oder Anstoß von außen ein umfassendes System der Rettung und Hilfe für die Opfer gebildet. Evangelikale Christen hätten ihre kirchlichen und privaten Räumlichkeiten für die Flüchtlinge geöffnet und mit Unterkünften Transport- und Lebensmitteln sowie medizinisch versorgt. Laut Soloviy haben sich viele Evangelikale den ukrainischen Streitkräften angeschlossen. Einige dienten als Sanitäter oder Seelsorger, andere verteidigten ihr Land mit der Waffe. Jedes Mal, wenn ein Teil des ukrainischen Territoriums befreit werde, schickten evangelikale Gemeinschaften des Landes Bautrupps in die verwüsteten Städte und Dörfer, um zerstörte Häuser wieder aufzubauen, sowie Konvois mit Hilfsgütern. Gleichzeitig leisteten Evangelikale selbst als kleine Gruppen Vertriebener umfassende Unterstützung für ihre benachteiligten Landsleute. Soloviy hatte nach eigenen Angaben vor dem Krieg wiederholt darauf hingewiesen, dass sich die evangelikalen Kirchen in der Ukraine zu wenig im sozialen Bereich engagierten. Ihnen habe es auch an ökumenischer Offenheit gefehlt. All diese Schwächen hätten sich jedoch als unbedeutend erwiesen, als das ganze Land – Soloviy vergleicht es mit dem Überfallenen in der Geschichte vom barmherzigen Samariter (Lukas 10) – „einem heimtückischen und grausamen Verbrecher zum Opfer fiel“.

Die religiöse Dimension des Krieges

Der Theologe übt scharfe Kritik daran, dass „die Führung des Agressorlandes“ die Feindseligkeiten religiös begründe. Sie rechtfertige „ihren ungerechten, verbrecherischen Krieg mit der Notwendigkeit, ukrainische ‚Fanatiker‘ zu bekämpfen, die die Werte der russisch-orthodoxen Kirche, des Islam und des Judentums aufgeben wollen“. Die neue Ideologie der Invasoren sei die sogenannte „vollständige De-Satanisierung“ der Ukraine. Damit deuteten die Russen „die unprovozierte Aggression gegen das Nachbarland als einen ‚Religionskrieg‘, in dem die Ukrainer als metaphysisches Übel auftreten, das bedingungslos vernichtet werden muss“. Tatsächlich habe dieser Krieg eine religiöse Dimension, aber eine andere als jene, die die russischen Führer und Propagandisten ihm zuzuschreiben versuchten. Soloviy erinnert in diesem Zusammenhang an den alttestamentlichen Bericht vom Exodus der Israeliten aus Ägypten. Seit Jahrtausenden inspiriere dieses biblische Motiv der Befreiung alle Versklavten, für ihre Freiheit von politischer, sozialer und geistiger Unterdrückung zu kämpfen. „Auch die Ukrainer sehen diesen Krieg unter dem Blickwinkel des Exodus, der Erlösung von der tödlichen Macht des Imperiums und des neuen Pharaos, der von der Gier nach Macht verrückt geworden ist.“ Soloviy verweist darauf, dass durch den Krieg mehrere zehntausend Menschen getötet und mehr als sieben Millionen Ukrainer zu Flüchtlingen wurden, davon über fünf Millionen im eigenen Land. Mehr als 1,5 Millionen Ukrainer seien gewaltsam nach Russland deportiert worden. Herausgeber des Pfarrerblatts ist der Verband Evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland (Kassel).