26.06.2024

Deutschland: SPD-Fraktion für Entkriminalisierung von Abtreibungen

Kritik kommt unter anderem vom Caritas-Verband und von Lebensschützern

Berlin (IDEA) – Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich für die Entkriminalisierung von vorgeburtlichen Kindstötungen ausgesprochen. Das geht aus einem entsprechenden Positionspapier hervor, dass die Fraktion am 25. Juni verabschiedet hat. Darin heißt es, dass Frauen das Recht hätten, selbst über „ihren Körper, ihre Familienplanung und ihr Sexualleben“ zu entscheiden. Zum Hintergrund: Nach der aktuellen Rechtslage sind Abtreibungen in Deutschland durch Paragraf 218 des Strafgesetzbuches grundsätzlich verboten. Sie bleiben aber unter bestimmten Bedingungen straffrei (Paragraf 218a). Die Pflicht zum Austragen einer Schwangerschaft greife jedoch „tief in das körperliche und reproduktive Selbstbestimmungsrecht und das Recht auf körperliche Unversehrtheit der Frau“ ein, so das Positionspapier. Auch die von der Bundesregierung eingesetzte „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ halte für die Frühphase der Schwangerschaft eine Änderung für zwingend, da die Rechtswidrigkeit von Abtreibungen nach der Beratungslösung zumindest in dieser Phase „nicht mit den Grundrechten der Schwangeren vereinbar“ sei. Die Kommission war 2023 von der Ampel-Regierung berufen worden, um u. a. eine Neuregelung des Abtreibungsrechts außerhalb des Strafrechts zu prüfen. In ihrem Abschlussbericht, der am 15. April vorgestellt wurde, schlägt die Kommission unter anderem vor, dass Abtreibungen in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen grundsätzlich als rechtmäßig gelten müssten. Sie sollten erst ab dem Zeitpunkt grundsätzlich verboten sein, ab dem das Kind eigenständig lebensfähig ist, was in der Regel ab der 22. Schwangerschaftswoche der Fall ist. „Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes und die Rechte der Schwangeren“ müssten daher neu austariert werden, wie es im Papier der SPD-Fraktion weiter heißt.

Ab wann eine Abtreibung verboten sein sollte

In diesem Sinn spricht sich die Fraktion für eine Fristenregelung aus, „die an der Überlebensfähigkeitdes Fötus außerhalb des Uterus“ anknüpfe. „Sobald eine Überlebenschance des Fötus außerhalb des Uterus in Einzelfällen besteht, muss ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich verboten sein.“ Für die Durchführung einer Abtreibung nach Ablauf der gesetzlichen Frist sollten nur die Ärzte, aber nicht die Schwangere, strafrechtlich sanktioniert werden können. Zudem solle die Beratungspflicht durch einen Rechtsanspruch auf Beratung ersetzt werden. „Schwangerschaftsabbrüche sollen kostendeckend durch die Krankenkassen finanziert werden und Teil des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenkassen werden.“ Das ärztliche Weigerungsrecht, eine Abtreibung durchzuführen, will die Fraktion grundsätzlich beibehalten. Krankenhäuser, denen der Staat gynäkologische Leistungen zuweise und finanziere, sollten jedoch verpflichtet werden, entweder selbst Abtreibungen durchzuführen oder Schwangere, die dies wünschten, an eine geeignete Stelle weiterzuleiten. Die SPD-Fraktion plädiert zudem dafür, dass vorgeburtliche Kindstötungen „über die Approbationsordnung zu einem verbindlichen Inhalt des Lernzielkatalogs werden“. Sogenannte „Gehsteigbelästigungen“ durch Lebensschützer vor Beratungseinrichtungen, Arztpraxen und Kliniken „sollten unterbunden“ und als Ordnungswidrigkeit sanktioniert werden können. Auf der anderen Seite betont die Fraktion, dass Frauen und Familien die Entscheidung für die Schwangerschaft durch weitere Maßnahmen wie den Einsatz für bezahlbares Wohnen, die Abschaffung des Ehegattensplittings sowie verlässliche Kinderbetreuung erleichtert werden solle.

Rat der EKD und Diakonie für Liberalisierung

Auch der Rat der EKD hatte sich bereits im Oktober 2023 für eine Liberalisierung der Abtreibungsgesetzgebung ausgesprochen. Vorgeburtliche Kindstötungen könnten teilweise auch außerhalb des Strafrechts geregelt werden. Deren vollständige Entkriminalisierung sei aber nicht vertretbar, wie es in einer vom Rat veröffentlichten Stellungnahme hieß. Spätestens ab der 22. Schwangerschaftswoche sollte eine Abtreibung strafrechtlich geregelt und nur in klar definierten Ausnahmefällen zulässig sein. Die Diakonie Deutschland veröffentlichte kurz darauf ein ähnliches Votum, in dem sie zusätzlich die Abschaffung der verpflichtenden Beratung vor einer Abtreibung empfahl.

 

Caritas: Beratungspflicht erhalten

Kritik kommt unter anderem vom römisch-katholischen Deutschen Caritasverband. Dessen Präsidentin, Eva Maria Welskop-Deffaa (Berlin), warnte im Interview mit dem katholischen Medienportal domradio.de (Köln) insbesondere vor einer Abschaffung der Beratungspflicht. Denn ohne diese Pflicht erscheine eine Beratung „als unnötige Belastung“. Ungewollt Schwangere hätten nämlich „gar nicht die innere Freiheit zu erkennen, dass einem die Beratung helfen würde“. Das zeigten die Umfragen, die die hauptsächlich von katholischen Laien getragene Schwangerschaftsberatungsstelle „donum vitae“ (Geschenk des Lebens) 2023 durchgeführt habe. „Weit über 80 Prozent, je nachdem, wie die Fragestellung ist, sogar über 90 Prozent der Frauen sagen, die Beratung habe ihnen unglaublich geholfen. Aber zugleich sagt etwa die Hälfte der Frauen, sie wären in die Beratungsstellen nicht reingegangen, wenn es die Pflicht nicht gegeben hätte.“ Laut einer Caritas-Mitteilung sieht Welskop-Deffaa in der Beratungspflicht zudem Vorteile für die Ärzte. Der Beratungsschein sei ein wichtiges Indiz, dass die Frau sich aus freiem Willen für eine vorgeburtliche Kindstötung entschieden habe und „damit also die Vornahme der Abtreibung legal ist“. Wenig nachvollziehbar sei zudem die von der SPD-Fraktion geforderte „Fristenverschiebung“. Die Orientierung an der Überlebensfähigkeit eines Kindes außerhalb des Uterus sei in einer Zeit lebensfremd, „in der ein Ultraschall längst vorher zeigt, dass das Kind im Bauch der Mutter lebt, und in der wir wissen, wie viel Zeit, Aufmerksamkeit und Sorge ein Neugeborenes noch lange nach der Geburt braucht, um zu überleben“.

Lebensrechtler: Die SPD will „ideologische Projekte“ umsetzen

Auch die Bundesvorsitzende der „Aktion Lebensrecht für Alle“ (ALfA), Cornelia Kaminski (Fulda), übte scharfe Kritik an dem Positionspapier. Auf Anfrage der Evangelischen Nachrichtenagentur IDEA äußerte sie die Ansicht, dass die SPD-Fraktion „vor dem endgültigen Versinken in der Bedeutungslosigkeit noch wichtige ideologische Projekte“ umsetzen wolle. Nur so sei erklärbar, weshalb die SPD-Fraktion im Bundestag ein solches Positionspapier verabschiedet habe, „statt sich mit wenigstens einer der Katastrophen nachhaltig zu befassen, die Deutschlands wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage“ kennzeichneten. Von einem „Notstand“ in der Versorgung mit Abtreibungsärzten könne ohnehin keine Rede sein. Schließlich sei die Zahl vorgeburtlicher Kindstötungen im ersten Quartal des Jahres noch einmal um 2,3 Prozent gestiegen, und auch der Anteil chemischer Abtreibungen sei auf mittlerweile über 40 Prozent gewachsen. Die wahre Katastrophe zeichne sich zudem dort ab, „wo Frauen ihre Kinder nicht vorgeburtlich töten, sondern bekommen wollen. Stand heute gibt es noch 604 Kreißsäle in Deutschland. Statt einer Protestwelle der Frauenärzte und Hebammen zur Rettung der Kreißsäle klären Internetseiten darüber auf, was bei einer Geburt im Auto zu beachten ist. Risiken für das Neugeborene? Menschenwürdige Behandlung der Mutter? Uninteressant.“ Worum es der SPD wirklich gehe, offenbare sie mit der Forderung nach Abschaffung des Ehegattensplittings. Kinder brauchten jedoch stabile Beziehungen, so Kaminski. Dazu gehörten Ehen. „Wer das zerstören möchte, schafft ihren Steuervorteil ab.“ Nur wer mit Blindheit geschlagen sei, könne darin ein „Schutzkonzept für das ungeborene Kind“ sehen. Die Worte der SPD-Politiker würden „durch die Realität Lügen gestraft“. Alle genannten Maßnahmen hätten die Abtreibungszahlen nämlich nicht sinken lassen.