07.09.2020

Deutschland: Islamischer Antisemitismus wird unterschätzt

Klein: Viele Betroffene nehmen ihn als „sehr viel stärker“ wahr, als die Statistik zeigt

Berlin (idea) – In Deutschland gibt es mehr Straftaten von radikalen Muslimen gegen Juden, als die Polizeiliche Kriminalstatistik zeigt. Diese Ansicht vertrat der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland, Felix Klein (Berlin), in einem Interview mit der „Welt am Sonntag“ (Ausgabe vom 6. September). 2019 wurden laut der Statistik des Bundeskriminalamtes in Deutschland 2032 antisemitische Straftaten begangen (2018: 1.799). Rund 90 Prozent werden in der Erhebung der „politisch motivierten Kriminalität von rechts“ zugeordnet. „Viele Betroffene nehmen die Aggressionen von islamistischen Tätern als sehr viel stärker wahr, als das in der Statistik zum Ausdruck kommt“, sagte Klein. Die Zuordnung der Delikte zum rechten Spektrum sei teilweise fragwürdig. „Wenn auf der Al-Kuds-Demonstration von radikalen Muslimen der Hitlergruß gezeigt wird, ist das in meinen Augen keine rechte Tat, obwohl sie als solche zugeordnet wird.“ Auch bei den antisemitischen Vorfällen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze sei der Anteil rechtsradikaler Täter bereits deutlich geringer und der Anteil islamistischer Täter deutlich höher. „Darüber müssen wir ernsthaft sprechen und dabei auch das subjektive Empfinden der Betroffenen einbeziehen“, so Klein. Weiter sagte der Regierungsbeauftragte, ein Großteil der judenfeindlichen Straftaten werde im Internet begangen. Dort sei „die Enthemmung so weit fortgeschritten, dass es auch den strafrechtlichen Bereich betrifft“. Bei der Eindämmung dieser Delikte erhoffe er sich große Erfolge von dem geplanten „Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“, weil es erlauben werde, die Identität der Täter leichter zu ermitteln. Große Sorge bereits ihm aber, dass auch die Zahl der judenfeindlichen Gewaltdelikte zugenommen habe. Von den antisemitischen Straftaten im Jahr 2019 waren 73 Gewaltdelikte (2018: 69).

Antisemitismus wird zum Ventil für Unzufriedenheit

Klein äußerte sich in dem Interview auch zu antisemitischen Verschwörungstheorien in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. In der deutschen Kultur sei „der Antisemitismus leider so eingeübt, dass er schnell zum Ventil wird, seine Unzufriedenheit auszudrücken“. In Krisenzeiten seien die Menschen sehr empfänglich für irrationale Erklärungsmuster. So seien die Juden im Mittelalter für den Ausbruch der Pest verantwortlich gemacht worden. Dem gleichen Muster folge heute etwa die Theorie, israelische Forscher hätten den Corona-Virus in die Welt gesetzt, damit israelische Firmen der Welt ihren Impfstoff verkaufen könnten. „Derartigen Unsinn liest man immer wieder.“

Menschenfeindlichkeit auch in der „Mitte“ der Gesellschaft

Die württembergische Kirche hat jetzt einen Referenten für Extremismusfragen

Stuttgart (idea) – Auch in der „Mitte“ der Gesellschaft kann es zu Hass und Menschenfeindlichkeit kommen. Diese Ansicht vertrat der neue Referent für Extremismusfragen der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Hans-Ulrich Probst, gegenüber der Evangelischen Nachrichtenagentur idea. „Das gesellschaftliche Phänomen der Menschenfeindlichkeit will ich nicht nach einem Schema des Rechts- oder Linksextremismus beurteilen.“ In Zeiten der gesellschaftlichen Polarisierung könne die Kirche ein Ort des Gesprächs und des Streits ohne Ansehen der Person sein. „Dort, wo es zu Gewalt und blindem Hass gegen Menschen kommt, muss neben anderen aber auch die Kirche eine rote Linie ziehen.“ Er stelle zudem fest, dass die „Auseinandersetzung mit Verschwörungsnarrativen im Zuge der Corona-Pandemie“ momentan in den Kirchengemeinden auf besonderes Interesse stoße. In Zusammenhang damit stehe auch der Themenkomplex des Antijudaismus oder des Antisemitismus. Antisemitische und rassistische Vorurteile gebe es leider auch im Raum der Kirche. Doch die biblische Botschaft widerspreche deutlich dem Hass auf andere Menschen. Außerdem seien bei ihm Anfragen aus den Gemeinden zum Thema Rassismus in Deutschland eingegangen. Probst hat seine Stelle am 1. September angetreten und soll sich in der Arbeitsstelle für Weltanschauungsfragen mit Fragen des Extremismus und Populismus beschäftigen und als Ansprechpartner für innerkirchliche Beratungen zur Verfügung stehen. Die Landeskirche will damit nach eigenen Angaben darauf reagieren, dass die Sprache verrohe, demokratische Prinzipien infrage gestellt und „Hass auf Minderheiten geschürt und ausgelebt“ werde.