08.03.2021

Schweiz: Geteiltes Echo auf Verschleierungsverbot

Prof. Schröter: Nikab und Burka stehen für „menschenverachtenden Islamismus“

Bern/Berlin/Frankfurt am Main (IDEA) – Das Ergebnis der Volksabstimmung in der Schweiz, wonach künftig eine Vollverschleierung mit Nikab oder Burka untersagt ist, hat in Deutschland ein unterschiedliches Echo ausgelöst. 51,2 Prozent der Eidgenossen hatten am 7. März für die Volksinitiative „Ja zum Verhüllungsverbot“ votiert, 48,8 Prozent dagegen. Sie wurde lanciert vom „Egerkinger Komitee“ (Luzern), das eine Islamisierung der Schweiz verhindern will. Es steht der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) nahe. Der Verein wendet sich „gegen die Machtansprüche des politischen Islams“. Die Regierung hatte empfohlen, die Initiative abzulehnen. Laut der Universität Luzern leben 20 bis 30 Frauen in der Schweiz, die einen Nikab tragen – einen Schleier, der nur die Augen frei lässt. Trägerinnen der Burka – sie verdeckt das Gesicht komplett – gebe es in der Schweiz nicht. In den vergangenen Jahren hatten bereits andere europäische Länder wie Frankreich, Belgien, Dänemark und Österreich eine Verhüllung des Gesichts in der Öffentlichkeit verboten. Bei Verstößen droht in der Regel eine Geldstrafe. 

Vollverschleierung ist „vollkommener Ausschluss aus der Öffentlichkeit“

Die Direktorin des Forschungszentrums Globaler Islam der Universität Frankfurt am Main, Prof. Susanne Schröter, begrüßte das Ergebnis der Volksabstimmung „ganz außerordentlich“. Auf Anfrage der Evangelischen Nachrichtenagentur IDEA erklärte die Ethnologin: „Die Vollverschleierung ist das Symbol eines menschenverachtenden Islamismus.“ Ihn praktizierten beispielsweise die Wahhabiten in Saudi-Arabien sowie die Terrororganisationen „Islamischer Staat“ (IS), Al-Kaida und Boko Haram. Dieser Islamismus stehe für die Abwertung von Andersgläubigen, für die Rechtfertigung von Mord, Folter und Sklaverei sowie für eine Diktatur im Namen Allahs. Sie unterwerfe den Menschen bis in seine Privatsphäre hinein einem Normenkorsett aus dem 7. Jahrhundert. Schröter: „Frauen sind in diesem System vollständig den Männern unterworfen, ihr Körper wird dämonisiert und muss verhüllt werden, um ihren vollkommenen Ausschluss aus der Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Nach Ansicht Schröters spielt es keine Rolle, wie viele Frauen sich in Europa vollverschleiern oder aus welchen Motiven heraus sie dies tun: „Durch diese Art der Kleidung demonstrieren sie ihre Zugehörigkeit zu einem religiösen Faschismus, der den Menschenrechten fundamental entgegenläuft.“ 

AfD: Vollverschleierung auch in Deutschland verbieten

Auch die stärkste Oppositionspartei im Deutschen Bundestag, die AfD, begrüßte das Ergebnis der Volksabstimmung. Ihr kirchenpolitischer Sprecher Volker Münz (Göppingen) erklärte gegenüber IDEA, das Schweizer Votum und auch die bereits beschlossenen Verbote in mehreren europäischen Ländern bestärkten die Forderung der AfD, die Vollverschleierung auch in Deutschland zu verbieten. Dazu habe die AfD-Bundestagsfraktion bereits Anträge eingebracht, die von den anderen Fraktionen abgelehnt worden seien. Die Gesichtsverschleierung verstoße gegen die Selbstbestimmung – insbesondere bei minderjährigen Mädchen – und gegen die Menschenwürde der Frau. „Außerdem ist es in unserer christlich geprägten Kultur guter Brauch, dass man seinem Gegenüber ins Gesicht schauen kann“, so Münz. 

„Die Linke“: Hinter der Kampagne steckt „antimuslimischer Rassismus“

Dagegen bedauerte die religionspolitische Sprecherin der Fraktion „Die Linke“, Christine Buchholz (Frankfurt am Main), dass die Schweizer Bevölkerung knapp für ein Burka-Verbot gestimmt hat: „Unter dem Deckmantel von Frauenrechten schürte die Kampagne antimuslimischen Rassismus.“ Es gehe den Initiatoren weder um die 30 betroffenen Frauen noch um weibliche Selbstbestimmung. Den Frauen, die gegen ihren Willen Burka oder Nikab tragen, helfe das Verbot überhaupt nicht. „Es erschwert es ihnen, sich Hilfe zu holen.“ Jene, die die Verschleierung aus freien Stücken tragen, würden „entmündigt und entrechtet“. Laut Buchholz lehnt „Die Linke“ ein Verbot von religiösen Kleidungsstücken ab: „Wir sind gegen den Zwang; den, sich verhüllen zu müssen, ebenso wie den Zwang, sich nicht verhüllen zu dürfen.“ Frauen müssten darüber selbst bestimmen dürfen. 

 

Rabbiner-Konferenz: Schweizer haben Angst vor dem Fremden

Kritik am Ausgang des Referendums übte auch der Präsident der Konferenz der Europäischen Rabbiner, Oberrabiner Pinchas Goldschmidt (Moskau). Das Ergebnis sei ein Angriff auf das Menschenrecht der Religionsfreiheit, erklärte er laut Katholischer Nachrichten-Agentur (KNA). „Der Hauptgrund solcher populistischen Bewegungen ist eine schweizerische Urangst: Es ist die Angst vor dem Fremden, es geht gegen Flüchtlinge, Migranten und in der Schweiz lebende religiöse Minderheiten.“ Das Ergebnis sei ein alarmierender Trend für alle religiösen Minderheiten. 

Muslimischer Dachverband: Ein „politischer Pyrrhussieg“

Der älteste schweizerische Dachverband der Muslime, die Koordination Islamischer Organisationen Schweiz (KIOS/Faulensee im Kanton Bern), bezeichnete die Entscheidung als das „zweite Sondergesetz gegen die islamische Religionsgemeinschaft“. 2009 hatte die Mehrheit der Schweizer für ein Minarettverbot gestimmt. Das jetzige Votum verstärke die gesellschaftlichen Vorurteile gegen die islamische Religionsgemeinschaft, heißt es in einer Mitteilung. Es handle sich um einen „politischen Pyrrhussieg“, der langfristig die Glaubwürdigkeit der Schweiz verletze und den Interessen des Landes schade. Von den 8,6 Millionen Einwohnern der Schweiz sind 35 Prozent römisch-katholisch, 23 Prozent evangelisch-reformiert und etwa fünf Prozent muslimisch. Der Anteil der Konfessionslosen beträgt 28 Prozent.