19.06.2020

USA/Türkei: "Die Verfolgung kommt erst noch“

735 Tage saß der evangelikale US-Pastor Andrew Brunson (52) in der Türkei in Haft.

(idea) Das löste eine diplomatische Krise zwischen den beiden Ländern aus. Im Oktober 2018 kam er frei. Die türkischen Christen spüren bis heute die Auswirkungen in Form von zunehmender Anfeindung. Aus Sicht Brunsons ist das jedoch erst der Anfang. Darüber und über seine Haftzeit hat er mit idea-Redakteurin Erika Gitt gesprochen.

Seit sieben Monaten lebt US-Pastor Andrew Brunson wieder in den USA. Doch die hinter ihm liegende fast zweijährige Haftzeit beschäftigt ihn noch immer: Er hat Alpträume. Vor seiner Verhaftung am 7. Oktober 2016 lebten Andrew und Norine mit ihren drei Kindern bereits 23 Jahre in der Türkei. Eigentlich wollte die Familie nach Ägypten, landete aber doch im Land am Bosporus. „Es war keine Liebe auf den ersten Blick, aber doch Liebe“, erinnert sich der 52-Jährige. Dort begann die Familie mit missionarischen Tätigkeiten, gründete die Auferstehungskirche in Izmir und arbeitete nach Ausbruch des Syrien-Krieges unter überwiegend kurdischen Flüchtlingen – einem Volk, mit dem die türkische Regierung in ständigem Konflikt steht. Der dreifache Vater ist heute überzeugt: „Das brachte uns ins Fadenkreuz der Behörden.“

Ihr Antrag auf Verlängerung der Visa war schließlich der Auslöser für alles Folgende: Norine und Andrew Brunson wurden ohne ersichtlichen Grund verhaftet. Sie sollten ausgewiesen werden. „Plötzlich warf man mir jedoch vor, ich wäre ein Spion der CIA, Teil der verbotenen kurdischen Terrororganisation PKK und auch des Putsches gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan im Juli 2016“, erinnert er sich.

Selbstmordgefährdet und alleingelassen

Aufgrund der gegen ihn erhobenen Vorwürfe, die auf Aussagen falscher Zeugen beruhten, drohte dem Gemeindegründer dreimal lebenslange Einzelhaft. Das erste Jahr sei für ihn das härteste gewesen: „Hätte ich gewusst, dass ich ‚nur‘ zwei Jahre inhaftiert würde, wäre es leichter zu erdulden gewesen. Aber die Ungewissheit zerstörte mich“, bekennt der US-Pastor. Er nahm 22 Kilogramm ab, konnte nicht schlafen und war schließlich selbstmordgefährdet. Mal saß er in Einzelhaft, dann wiederrum zwängte man ihn in eine für acht Personen ausgelegte Zelle zusammen mit 20 radikalen Muslimen: „Ich fühlte mich von Gott allein­gelassen. Ich spürte seine Gegenwart die gesamte Haftzeit über kein einziges Mal.“ Damit haderte Brunson. Schließlich war dies die dunkelste Zeit seines Lebens. Wie konnte Gott ihn da im Stich lassen?

Gefühlloser Glaube

Im zweiten Haftjahr begriff Brunson langsam: Er konnte zwar nicht für seine Freiheit kämpfen, dafür aber umso mehr für die Beziehung zu seinem Gott: „Ich entschied mich, an ihn zu glauben – völlig unabhängig von meinen Gefühlen.“ All die bohrenden Fragen der vergangenen Monate verbannte er im Geiste in eine imaginäre Box und übergab Gott die dazugehörigen Schlüssel. Der dreifache Vater gibt zu: „Gott hat die darin befindlichen Fragen bislang nicht beantwortet, aber das ist mittlerweile auch nicht so wichtig. Ich habe verstanden, dass diese Zeit eine Bewährungsprobe für meinen Glauben war.“ Und sie habe seine Gottesbeziehung auf eine neue Stufe gehoben. Der Geistliche sieht sich nun in einer Reihe mit Menschen wie Paulus und anderen verfolgten Christen.

Millionen Beter

Ebenfalls entscheidend in diesem Prozess der Glaubensbewährung war die Nachricht seiner Frau, dass weltweit Menschen für ihn beteten: „Ich konnte es gar nicht glauben. So beteten beispielsweise Millionen von chinesischen Christen für mich – obwohl viele ihrer Pastoren selbst in Haft waren.“ Auch seine Bibel – er durfte sie in einigen Gefängnissen bei sich tragen – spendete ihm Trost: „Schon allein ihre physische Anwesenheit war mir sehr kostbar. So viele Menschen in der Kirchengeschichte sind dafür gestorben, dass ich das Wort Gottes in meinen Händen halten durfte, und durch sie fühlte ich mich verbunden mit ihnen.“ Nachdem die US-Regierung der Türkei wegen der Inhaftierung Brunsons massive Strafzölle auferlegt hatte, ordnete das zuständige Gericht in Izmir Ende Juli 2018 für Brunson Hausarrest an. Im Oktober 2018 kam er frei. Damit die Türkei nicht ihr Gesicht verliert, verurteilte der Richter den US-Amerikaner zu einer Haftstrafe von drei Jahren, einem Monat und 15 Tagen, die jedoch mit der Untersuchungshaft abgegolten war. Und so durfte er ausreisen.

 

Christen als Staatsfeinde

Auch wenn Brunson nicht länger in der Türkei lebt, hält er weiterhin Kontakt zu Kirchenleitern vor Ort. Diese berichten ihm von zunehmendem Druck und einem feindlicheren Klima gegen Christen. „Mir ist sehr wohl bewusst, dass mein Fall ein starker Katalysator dafür war“, gesteht er. Seine Haftzeit und die damit verbundene Berichterstattung habe ihn als Christ in den Mittelpunkt gerückt: „Die gegen mich erhobenen Vorwürfe haften bis heute leider auch an allen anderen Christen.“

Der US-Pastor sieht in seiner Inhaftierung jedoch nicht den Auslöser für die Anfeindung gegen türkische Christen, sondern eine deutliche Kampfansage gegen sie: „Erdogan hat mehrfach deutlich gemacht, dass ein Türke nur ein Muslim sein kann. Meine Haft sandte die Botschaft: ‚Wenn es schon Amerikaner so hart treffen kann, dann erst recht euch.‘“, so Brunson. Zwar sei die Situation für Christen schon immer schwierig gewesen, doch die Zunahme des politischen Islams unter dem aktuellen Präsidenten mache Christen vermehrt zu Zielscheiben von Übergriffen. Sie würden als Zerstörer der Türkei angesehen, weil sie der Einheit der Türken unter dem Islam im Wege stünden. Die wegen Brunson verhängten Strafzölle und damit verbundene Wirtschaftskrise habe diese Ansicht nur noch verschärft.

Eine Anfang Mai veröffentlichte 176 Seiten lange Sonderausgabe der regierungsnahen Zeitschrift Gercek Hayat, die Christen und Juden als Mitverschwörer des gescheiterten Putsches gegen Erdogan im Juli 2016 diffamierte, ist für Brunson nur ein weiterer antichristlicher Schritt: „Ich kenne türkische Pastoren, die sich bereits auf eine Christenverfolgung vorbereiten. Und ich gebe ihnen recht: Die Verfolgung kommt erst noch.“

Millionen von Türken für Christus

Doch Brunson glaubt nicht, dass seine Haft nur negative Folgen für die türkischen Christen hat: Das große Medienecho habe sie in den Fokus gerückt: „Ich bin mir sicher, dass noch nie so viele Menschen für die Türkei gebetet haben und das noch immer tun – auch wenn ich der Auslöser dafür war.“ 2009 habe Gott zu ihm gesprochen und ihn dazu aufgefordert, sich auf eine große geistliche Ernte in der Türkei vorzubereiten. „Ich dachte damals, dass das erst meine Kinder erleben würden. Doch nun bin ich der Überzeugung, dass schon bald viele Türken Christen werden. Der politische Islam Erdogans hat gerade ähnliche Auswirkungen wie im Iran: Die Bürger werden des Islams überdrüssig und suchen Alternativen.“ Noch seien die türkischen Gemeinden klein und für eine Erweckung nicht vorbereitet. Brunson vertraut in diesem Punkt jedoch darauf, dass Gott auch hier seine Mittel und Wege dafür hat.

Zukunftsaussichten

Am liebsten würden die Brunsons wieder in die Türkei zurückkehren. Die Liebe zu dem Land sei weiterhin groß, verrät der Pastor. „Ich sehe jedoch keine Möglichkeit mehr dazu – zumindest nicht unter der Regierung Erdogans.“ Deshalb suchen sie derzeit andere Wege, Muslime in der Region des Nahen Ostens mit der Frohen Botschaft der Bibel zu erreichen, vielleicht sogar wieder als Gemeindegründer in eines der Länder zu ziehen. Um diesen Wunsch nicht zu gefährden, schweigt das Ehepaar Brunson derzeit noch zum aktuellen Stand seiner Planung.