28.05.2008

Türkei: Religionsamt warnt Frauen vor Parfüm und Deo

Ankara/Türkei, 28.05.2008 (Die Welt) Ein Benimm-Leitfaden der türkischen Religionsbehörde enthüllt das staatliche Frauenbild. Unter anderem heißt es darin, Frauen sollten in der Öffentlichkeit kein Parfüm benutzen und Kontakte mit fremden Männern vermeiden. Ganz besonders skurril ist, was in dem Leitfaden als "Ehebruch" bezeichnet wird.

Religion und Staat, so heißt es, seien in der Türkei getrennt. Ganz stimmt das nicht – zwar soll die Religion dem Staat nicht in die Quere kommen, umgekehrt jedoch diktiert der Staat, was Religion zu sein hat. Konkreter Ausdruck dessen ist die Religionsbehörde Diyanet. Ihr sind alle Moscheen des Landes unterstellt, und alle Vorbeter und Imame sind ihre Angestellten. Was muslimisch ist, entscheidet Diyanet.

Solange säkular gesinnte Regierungen an der Macht waren, führte das zu jenem handzahmen "gemäßigten Islam" aus den Wunschträumen westlicher Nahost-Strategen. Nun aber regiert die islamisch geprägte AKP; ob man die jüngste Kontroverse um die Behörde Diyanet darauf zurückführen muss, darüber wird in der Türkei dieser Tage heiß debattiert.

Auf der Webseite des Religionsdirektorats war ein Benimm-Leitfaden erschienen, der für Frauen Ratschläge bereithielt, die sie genauso gut bei den Taliban bekommen könnten.

Außerhalb ihres Hauses, so heißt es da, sollten Frauen kein Parfüm, Deodorant oder sonstige wohlriechende Mittel benutzen, weil der Prophet Mohammed solches Verhalten als "unmoralisch" bezeichnet habe.

Der Diyanet-Ratgeber zu Islam und Gesellschaft bot unter dem Titel "Sexuelles Leben" weitere keusche Verhaltensregeln an: Frauen sollten sich sorgfältig verhüllen, "um ihren Körper nicht Fremden zu zeigen". Wer bislang meinte, Ehebruch sei Sex mit einem anderen als dem Ehepartner, der wurde eines Besseren belehrt: Ehebruch sei bereits ein unziemliches Wort, ein Blick, es gebe den "Ehebruch der Zunge, des Mundes, der Hand, des Fußes und des Auges."

Frauen sollten daher außerhalb ihrer vier Wände jeglichen Kontakt mit fremden Männern vermeiden, und sich schon gar nicht in geschlossenen Räumen mit ihnen aufhalten – was Millionen türkische Frauen jeden Tag tun, wenn sie arbeiten gehen.

Vorsicht vor Versuchung und Geschwätz

Wenn eine Frau und ein Mann in einem Raum allein sind, so heißt es im Text, dann ist der Dritte im Raum der Teufel. Auch reisen sollten Frauen nie alleine, denn das könnte zu Versuchungen und vor allem zu Geschwätz der Nachbarn führen.

Und das sei ein Problem, denn "Keuschheit und Ehre sind untrennbar" und es gebe "kein Mittel gegen befleckte Ehre." Ein besonders folgenschwerer Satz – "befleckte Ehre", oder was muslimische Männer zuweilen dafür halten, ist der Grund für jeden Ehrenmord.

Was aus alldem hervorgeht, ist ein Frauenbild, laut dem die weibliche Hälfte der Gesellschaft grundsätzlich zu Unmoral neigt, wenn sie nicht durch strenge Regeln eingeschränkt wird. Zudem sollten Frauen wohl besser nicht arbeiten gehen, um ihre Ehre nicht zu beflecken. Wenn sich in gewissen Situationen dennoch Flecken auf der Ehre ergeben, dann lag es immer an der Frau.

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Auf Anfrage sagte Diyanet-Pressesprecher Necdet Bal, er verstehe die ganze Aufregung nicht – der umstrittene Text sei bereits 2005 auf die Webseite gestellt worden. Zudem sei er zuerst vor 10 Jahren als Buch veröffentlicht worden, von Diyanet – aber vor der Regierungszeit der AKP. Die Regierung dafür verantwortlich zu machen sei also Unfug.

Die Zeitung "Radikal" hatte den Medienwirbel ausgelöst, als sie in ihrer Ausgabe vom 27. Mai den alten Diyanet-Text zum Titel-Thema machte und ihn als Sensation darstellte.

Inhaltlich steht das Religionsamt voll zum Wortlaut ihres Benimmleitfadens. "Frauen müssen mehr aufpassen als Männer, um sündhafte Situationen zu vermeiden, weil sie über sexuelle Reize verfügen", sagt Bal.

Recherche/Zusammenstellung: APD Schweiz.

Quelle: Tageszeitung Die Welt, Berlin/Deutschland  www.welt.de/politik/article2042899/Religionsamt_warnt_Frauen_vor_Parfuem_und_Deo.html