25.12.2010
Christen: Weihnachten in Angst
Ob im Irak, im Libanon oder auch in Ägypten und Israel: für viele Christen im Nahen Osten geht ein bedrückendes Jahr zu Ende. Lange galt ihre Präsenz zum geistig-kulturellen Grundgewebe des Orients. Heute werden sie denunziert und bedroht.
Die irakischen Gläubigen kehren scharenweise ihrer Heimat den Rücken. Familien suchen Unterschlupf im sicheren kurdischen Norden. Andere fliehen in Todesangst über die Grenzen nach Jordanien und Syrien. Wer noch ausharrt, duckt sich weg und macht sich möglichst unsichtbar. Der chaldäische Bischof von Kirkuk hat erstmals alle Feiern zur Geburt Christi abgesagt, nachdem er und mehrere Priester per Mail Morddrohungen von irakischen Extremisten erhalten haben. Libanons Maroniten fürchten einen neuen Bürgerkrieg gegen die Hisbollah.
Auch die Kopten am Nil stehen inzwischen im Visier von Al-Kaida-Terrorplanern. Vor Gotteshäusern patrouillieren Polizisten. Wer beten will, wird mit Metalldetektoren abgetastet. Selbst die Patriarchen des Heiligen Landes warnten in einer düsteren Weihnachtsbotschaft vor weiterer Zunahme der Gewalt. Ohnmächtig müssen sie seit Jahren den chronischen Exodus palästinensischer Christen mit ansehen, die angesichts der israelischen Dauerbesatzung für sich und ihre Familien keine Zukunft mehr sehen.
Die biblischen Schwesterstädte Bethlehem und Jerusalem trennt eine monströse Mauer, auch wenn Israels Militärführung ihren Besatzungen an den Checkpoints für die Weihnachtszeit ausdrücklich höfliches Benehmen verordnet hat. Und Papst Benedikt XVI. wertet das abgelaufene 2010 für seine orientalischen Mitgläubigen als ein Jahr der Verfolgung und Diskriminierung, als ein Jahr schrecklicher Gewalttaten und religiöser Intoleranz. Im Oktober hatte das katholische Oberhaupt deshalb sogar eine Sondersynode einberufen – das erste Krisentreffen dieser Art in 2000 Jahren Kirchengeschichte.
Überall sind sie Minderheiten
Denn ausgerechnet in der Unruheregion des Nahen und Mittleren Ostens, wo die Weltreligion einst entstand, droht das Christentum den Boden unter den Füßen zu verlieren. Hier liegen seine ältesten Wurzeln. Von seinen Landschaften wurden Bilder und Erzählungen der Bibel inspiriert. Von Ur in Chaldäa, dem heutigen Südirak, machte sich Abraham auf ins Gelobte Land, der wohl berühmteste Migrant der Weltgeschichte. Im palästinensischen Bethlehem wurde Jesus geboren. In Jerusalem ist er am Kreuz gestorben und nach dem Glauben der Christen drei Tage später wieder auferstanden. Und wäre nicht der in Tarsus geborene Jude Paulus bis Athen gezogen und hätte auf dem Territorium der heutigen Türkei und Griechenlands die ersten Gemeinden gegründet, die Jesus-Anhänger wären wohl als kleine jüdische Sekte eine Fußnote der Geschichte geblieben.
2000 Jahre später leben nur noch 17 Millionen Christen unter gut 400 Millionen Muslimen des Nahen und Mittleren Ostens – und ihre Zahl schwindet. Überall sind sie kleine Minderheiten, angefangen von einem Prozent im Iran und in der Türkei, über drei Prozent in Israel und Jordanien bis hin zu zehn Prozent in Ägypten.
Ungeachtet dessen zählen Armenier, Kopten und Syrisch-Orthodoxe zu den ältesten Kirchen überhaupt zusammen mit den Chaldäern und Melkiten. Seit alters her gehört ihre religiöse Präsenz ganz selbstverständlich zum geistig-kulturellen Grundgewebe des Orients. Christen und Juden haben diese Region geprägt – genauso wie heute die Muslime.
Trotzdem werden sie von selbst ernannten Gotteskriegern und ihren geistigen Führern immer aggressiver denunziert als Agenten des Westens, als Fremdkörper in ihren Völkern oder als Ungläubige. Und so sehen sich die einheimischen Christen von Landsleuten völlig zu Unrecht in Haftung genommen für die letzten hundert Jahre europäischer Kolonialpolitik, westlicher Einmischung und amerikanischer Kriegszüge.
Übergriffe häufen sich
Am Ende können durch solche Kampagnen frommer Flurbereinigung nur alle verlieren. Das interreligiöse Klima in islamischen Staaten wird schleichend vergiftet, das Zusammenleben gereizter. Übergriffe häufen sich, wie zuletzt in Ägypten, als es bei einer Demonstration aufgebrachter Kopten zwei Tote gab. Mesopotamien könnte wegen der monströsen Massaker der vergangenen Monate schon bald sein bis in die Antike zurückreichendes christliches Erbe vollständig einbüßen. So starben beim Angriff auf Gottesdienstbesucher der syrisch-katholischen Kathedrale von Bagdad 46 Beter und zwei Priester. Eine Woche später wurden Häuser von Christen unter Feuer genommen. „Haut endlich ab“ fanden die Bewohner auf Flugblättern vor ihren Türen.
Zwei Drittel der einst 1,4 Millionen Gläubigen haben ihre Heimat in Panik und mit schwerem Herzen verlassen. Die übrigen sitzen auf gepackten Koffern. Sie lassen eine Gesellschaft zurück, in der islamische Puristen und Fanatiker mehr und mehr den Ton angeben; eine Nation, die kulturell und religiös verarmt; und eine Region, die ihre in Jahrhunderten gewachsene Vielfalt verliert.
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