21.08.2011

Österreich: Bluttransfusion verweigert

PHILIPP AICHINGER (Die Presse)

Aus Glaubensgründen lehnte ein Mitglied der Zeugen Jehovas die nötige Hilfe ab. Nach ihrem Ableben forderte der Ehemann Schadenersatz - und scheiterte. Auch kein Schmerzensgeld erhält er für seine damalige Trauer.

Wien. Wer verletzt wurde, muss alles tun, damit die Folgen möglichst gering ausfallen. Schadensminderungspflicht nennt das der Jurist. Doch was gilt, wenn jemand wegen religiöser Verpflichtungen Handlungen verweigert, die aus medizinischer Sicht aber notwendig wären? Diese Frage musste der Oberste Gerichtshof anlässlich des Falles einer Zeugin Jehovas klären. Sie hatte nach einem Unfall Bluttransfusionen verweigert und war verstorben.

 

Im Juni 2005 hatte sich der tragische Verkehrsunfall in Wien ereignet. Die Frau wurde als Fußgängerin von einem Sattelzug erfasst und niedergestoßen. Unter anderem erlitt sie ein Überrolltrauma samt Oberschenkelamputation. Am Folgetag starb die Frau, die Ärzte hatten ihrem Wunsch entsprechend keine Blutkonserven zugeführt. Der Ehemann der Toten forderte die Begräbniskosten (5800 Euro), Schmerzensgeld für die Frau (800 Euro) und für sich selbst ein Trauerschmerzensgeld von 10.000 Euro ein. Er sei nämlich nach dem Tod der Ehefrau, mit der er 44 Jahre lang verheiratet war, in ein „schwarzes Loch“ gefallen. Der Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs ließ es jedoch auf einen Gerichtsprozess ankommen. Die Versicherer wandten ein, die Frau wäre nicht gestorben, hätte sie Bluttransfusionen akzeptiert. Daher müsse man für die Folgen ihres Todes nicht einstehen.

Das Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen gab der Klage des Mannes statt: Dem Unfallopfer dürfe kein Nachteil aus seiner Religionszugehörigkeit erwachsen, auch wenn die Zeugen Jehovas zum Unfallszeitpunkt noch nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt waren. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit des einzelnen Menschen würden unzumutbar eingeschränkt werden, wenn man Zeugen Jehovas wegen ihrer religiösen Einstellungen benachteiligte. Die Schadensminderungspflicht werde daher nicht verletzt, wenn man als Geschädigter allein aus Glaubensgründen gehandelt habe. Der Verursacher des Unfalls müsse somit auch dann voll haften, wenn das Opfer Bluttransfusionen ablehnt.

diepresse.com/home/panorama/religion/687080/Bluttransfusion-verweigert_An-Tod-selbst-schuld;