26.08.2011
Deutschland: Neue Debatte um Wirken von Manfred Stolpe
„Hätte sich Manfred Stolpe für seinen Glauben kreuzigen lassen?“
Deutschland: Neue Debatte um Wirken von Manfred Stolpe
„Hätte sich Manfred Stolpe für seinen Glauben kreuzigen lassen?“
Potsdam (idea) – Der ehemalige Brandenburger Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) steht erneut wegen seiner Rolle in der DDR in der Kritik.
Der Historiker Michael Wolffsohn (München) wirft dem ehemaligen berlin-brandenburgischen Konsistorialpräsidenten vor, als Mann der Kirche mit dem sozialistischen DDR-System mitgeschwommen zu sein. In einem Gastbeitrag für die „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ unter dem Titel „Der Bund der Vergessenden – Ein welthistorischer Blick auf Manfred Stolpe und den ‚Brandenburger Weg’“ vertritt Wolffsohn die These, dass die Eliten-Kontinuität nach politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen zwar normal sei, dass sich aber historisch niemand an diese Mitläufer erinnern wird: „Wer bleibt, was bleibt? Nicht die Mitmacher und Mitläufer, Anpasser und Angeber, nicht die Bestfunktionierenden und erst recht nicht die chuzpedicken, scheinheiligen Moralisierer, sondern die aufrechten und aufrichtigen Moralisten, deren Wort ihre Tat ist.“ Dann fragt er: „Hätte sich Stolpe für seinen Glauben kreuzigen lassen?“
Stolpe: Meinen Glauben hat noch niemand in Frage gestellt
Stolpe wies Wolffsohns Kritik zurück. Die Frage, ob er sich für seinen Glauben kreuzigen lassen würde, verletze ihn, schrieb er in einem Leserbrief. „Vieles kann ich ertragen, aber meinen Glauben hat noch niemand in Frage gestellt. Selbst in der DDR-Diktatur wurde meine christliche Bindung nur selten als unnormal und dumm bezeichnet. Ich weiß nicht, welchen Glauben Professor Wolffsohn bei mir erwartet.“ Für ihn stehe christlicher Glaube „für Friedfertigkeit und Gewaltvermeidung, Dialog statt Konfrontation, Aussöhnung statt Rache, Achtung der Menschenwürde und Respekt vor anderen Meinungen, Gerechtigkeit für die Menschen und die Natur. Dafür stehe ich und hoffe, dass mich niemand und nichts zwingen kann, darin nachzulassen.“
Berliner Bischof: Wolffsohns Frage verhöhnt Christen
Rückendeckung bekommt Stolpe vom Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Markus Dröge (Berlin): „Die Frage, ob sich Manfred Stolpe für seinen Glauben hätte kreuzigen lassen, weise ich in aller Entschiedenheit zurück.“ Es sei abstrus zu behaupten, dass nur eine Märtyrerexistenz ein glaubwürdiges Christsein darstelle. „Dies verhöhnt alle Christen, die in der Nachfolge Jesu ein glaubwürdiges Leben in den Spannungen und Uneindeutigkeiten menschlicher Existenz wagen.“ Stolpe sei „stets ein Mann der evangelischen Kirche“ gewesen, die maßgeblich zum friedlichen Zusammenbruch des SED-Regimes beigetragen habe. „Er war weder SED-Mitglied noch Funktionsträger des DDR-Systems. Mir persönlich sind keine Menschen bekannt, die unter den Folgen des Handelns von Manfred Stolpe gelitten haben. Das Gegenteil ist der Fall. Regelmäßig erzählen mir Menschen, dass Manfred Stolpe für sie die rettende Adresse war, als sie vom DDR-Regime drangsaliert wurden“, so der Bischof.
Bretschneider: Stolpe war mutig
Eine mutige Haltung wurde Stolpe in der Vergangenheit auch schon von anderen Vertretern der Kirche bescheinigt, etwa dem „Vater“ der Aktion „Schwerter zu Pflugscharen“, dem früheren sächsischen Oberlandeskirchenrat Harald Bretschneider (Dresden). Als er als Landesjugendpfarrer Anfang der achtziger Jahre für die Friedensdekade unter dem Motto „Frieden schaffen ohne Waffen“ 100.000 Lesezeichen mit dem Logo „Schwerter zu Pflugscharen“ habe drucken lassen wollen, sei Stolpes Zustimmung als Leiter des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR nötig gewesen. „Manfred Stolpe hat der Drucklegung mutig zugestimmt“, so Bretschneider in einem Interview mit idea im Jahr 2007.
Kritiker: Stolpe für mangelnde Aufarbeitung verantwortlich
Aus Sicht von Kritikern hingegen war Stolpe – der einst einflussreichste Kirchenmann der DDR (von 1982 bis 1990 Konsistorialpräsident der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (Region Ost) und stellvertretender Vorsitzender des Evangelischen Kirchenbundes in der DDR) – als erster brandenburgischer Ministerpräsident für die mangelnde Aufarbeitung verantwortlich. Er sorgte dafür, dass es in Brandenburg als einzigem Land im Osten Deutschlands keine systematischen Überprüfungen von Abgeordneten auf Stasi-Kontakte gab („Brandenburger Weg“). Für heftige Diskussionen sorgten Anfang der neunziger Jahre die Ergebnisse eines Untersuchungsausschusses, wonach Stolpe selbst als IM „Sekretär“ bei der Stasi registriert gewesen sein soll. Er hatte eingeräumt, zwischen Ende der sechziger Jahre und März 1990 rund 1.000 Gespräche mit DDR-Staatsorganen, auch mit der Stasi, geführt zu haben. Allerdings habe er damit niemandem geschadet. Einen Rücktritt lehnte er ab.