09.01.2011

Irak: "Im Irak gibt es für uns keine Zukunft mehr"

von Hannes Gamillscheg (Die Presse)

Irak: "Im Irak gibt es für uns keine Zukunft mehr"

von Hannes Gamillscheg (Die Presse)

 

Wie eine christliche Familie aus dem Irak jahrelang darum kämpfen musste, in Dänemark als Flüchtlinge anerkannt zu werden.

Vor ein paar Jahren hat Meena ein Bild von dem Asylantenheim gezeichnet, in dem sie damals gelebt hat: Gitter vor den Fenstern wie in einem Gefängnis, die Sonne weint, die Vögel am Himmel weinen, das Mädchen, das vor dem Haus steht, weint. „Das war ich, damals“, sagt die zwölfjährige Irakerin. Jetzt wohnt sie mit ihren Eltern in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung in Kopenhagen, ein aufgewecktes, fröhliches Kind – aber nur auf den ersten Blick.

Vor zehn Jahren wurde ihrem Vater Salam klar, dass er aus dem Irak wegmusste, weil seine Familie als Christen politisch verfolgt war. Mehr als 10.000 Dollar kostete es ihn, sich nach Dänemark schmuggeln zu lassen. Seine Frau Sheina und Meena blieben in Jordanien. Nach ein paar Monaten würde Salam Asyl haben und die zwei nachholen, hofften sie. Doch die Asylbehörden glaubten seine Geschichte nicht und lehnten den Antrag ab. Fünf Mal. „Die meisten muslimischen Flüchtlinge bekamen rasch Asyl und sind längst dänische Staatsbürger“, sagt Salam. „Bei mir hieß es: ,Du bist ja Christ, du kannst heimfahren.‘“

Als man Sheina nach fünf Jahren mit der Abschiebung aus Jordanien drohte, kratzte sie Geld zusammen und machte sich mit Meena auf die Flucht, acht Tage, versteckt in Autos und Lastwagen. Statt der erhofften Wohnung wartete auch auf sie die Flüchtlingsbaracke, und es hieß wiederum warten, weitere drei Jahre, stets in Gefahr, zurückgeschickt zu werden. Dann wurde Sheinas Cousin, der Erzbischof in Ninive war, entführt und ermordet. Da verstanden auch die dänischen Asylbehörden, dass die Bedrohung real war. 2008 erhielt die Familie das Bleiberecht.

Sheinas Stube ist noch weihnachtlich geschmückt, mit Christbaum, Sternen, Krippe, doch auch sonst sieht man rasch, dass hier Christen leben: Das Hochzeitsfoto hängt unter einem Kruzifix, über Meenas Bett die Mutter Gottes.

Unter Saddam besser. Ihre Aufenthaltsgenehmigung ist temporär. Wenn sich die Lage im Irak zum Besseren wendete, müssten sie zurück. Sie ändert sich zum Schlechteren. „Unter Saddam Hussein war es besser als jetzt“, sagt Sheina, „er war ein Tyrann, aber er kümmerte sich nicht um Religion. Man durfte nichts sagen, aber zuhause war man sicher.“ Jetzt sitzen die Christen in ihren Häusern und haben Angst. Jeden Tag liest Sheina auf einer Website irakischer Christen die Nachrichten: „Vorgestern wurde eine 44-jährige Frau in ihrer Wohnung erstochen, in der Woche davor ein altes Ehepaar geköpft, er war 85, sie 73.“ Horrormeldungen, die längst keine Schlagzeilen mehr machen.

„Für uns Christen gibt es im Irak keine Zukunft mehr“, sagt Salam. Er hat noch einen Bruder in Bagdad. „Im Dezember wurde sein Haus durch eine Bombe völlig zerstört. Ihm und seiner Familie geschah nichts, aber jetzt müssen auch sie weg.“

(Die Presse)