17.01.2011
Deutschland: Volker Kauder "Der Glaube des Einzelnen muss geschützt werden"
Spiegel-Gespräch mit Volker Kauder
Deutschland: Volker Kauder "Der Glaube des Einzelnen muss geschützt werden"
Spiegel-Gespräch mit Volker Kauder
Im SPIEGEL-Gespräch spricht Volker Kauder über das Verhältnis von Politik
und Religion, verfolgte Kopten in Ägypten, Kopftücher und seine Haltung zur
Präimplantationsdiagnostik. Kauder warnt: "Von der westlichen Welt
weitgehend unbeobachtet, wird von islamischen Ländern derzeit der Versuch
unternommen, die Menschenrechtscharta der UNO neu zu interpretieren."
17.01.2011
"Der Islam sollte sich europäisieren"
Der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Volker Kauder, 61,
evangelisch, über das Verhältnis von Politik und Religion, verfolgte Kopten
in Ägypten, Kopftücher und seine Haltung zur Präimplantationsdiagnostik
SPIEGEL: Herr Kauder, nach dem Anschlag auf die koptische Gemeinde sind Sie
nach Ägypten gefahren und haben gesagt, die CDU/CSU trete für die
Religionsfreiheit in der ganzen Welt ein. Machen Sie christliche
Außenpolitik?
Kauder: Nein. Ich bin aber der Auffassung, dass wir eine Verantwortung dafür
haben, dass die Menschenrechte in der ganzen Welt gelten. Die
Religionsfreiheit ist ein zentrales Menschenrecht. Als Christ fühle ich
zudem eine besondere Verpflichtung, meinen Glaubensschwestern und -brüdern
beizustehen.
SPIEGEL: Ist die Religionsfreiheit ein besonders wichtiges Menschenrecht?
Kauder: Ich glaube, dass kaum etwas anderes die Identität des einzelnen
Menschen so berührt wie die freie Ausübung der Religion. Deswegen ist sie
ein ganz besonderes Menschenrecht. Es hat eine transzendentale, über das
jetzige Leben hinausgehende Bedeutung.
SPIEGEL: Dann müssten Sie sich auch für verfolgte Muslime, Juden,
Buddhisten, Bahai einsetzen.
Kauder: Wenn Muslime, Buddhisten, Juden, Bahai in ihrer Religionsausübung
bedroht sind, müssen wir das ebenfalls zum
Thema machen. Aber ich muss leider feststellen, dass die Christen die
Religionsgruppe sind, die zurzeit am meisten bedroht und verfolgt wird.
Deshalb ist es richtig, dass wir gerade die Frage der Christenverfolgung
jetzt auch in den Mittelpunkt rücken.
SPIEGEL: Sollte Deutschland sich als Schutzmacht der Christen in aller Welt
verstehen?
Kauder: Nein, aber als Schutzmacht der Religionsfreiheit. Von der westlichen
Welt weitgehend unbeobachtet, wird von islamischen Ländern derzeit der
Versuch unternommen, die Menschenrechtscharta der Uno neu zu interpretieren.
Es hat bei einer Konferenz der Uno kürzlich eine Diskussion über
Menschenrechte und Religionsfreiheit gegeben. Dort wurde ein Antrag
islamischer Länder vorgelegt, es solle nicht mehr die Religionsfreiheit
gewährleistet werden, sondern der Schutz der Religion.
SPIEGEL: Was ist der Unterschied?
Kauder: Damit wird das individuelle Menschenrecht auf freie Ausübung der
religiösen Überzeugung attackiert. Denn Schutz der Religion heißt: Schutz
des Islam und nicht Schutz des einzelnen Gläubigen. Die Folge wäre, dass der
Einzelne zum Beispiel nicht mehr den Glauben wechseln dürfte. Einmal Muslim,
immer Muslim. Wir finden dagegen, dass nicht in erster Linie die Institution
geschützt werden muss, sondern vor allem der Glaube des Einzelnen. Das ist
der Kern der Religionsfreiheit. Es gibt kein Menschenrecht, das für den
Einzelnen einen solchen Rang hat, wie das Leben in seiner Religion.
SPIEGEL: Da widersprechen wir. Vielen ist die persönliche Freiheit wichtiger
als die Beziehung zu einer Religion.
Kauder: Aber die Religionsfreiheit ist sicher ein ganz bedeutender Unterfall
der persönlichen Freiheit. Wenn Sie nicht mehr frei ihre Religion ausüben
dürfen, haben Sie einen ganz zentralen, für viele den zentralen Teil ihrer
Freiheit schon verloren.
SPIEGEL: Ist Deutschland bei der Integration und Achtung der religiösen
Minderheiten Vorbild für andere?
Kauder: Die Integration ist sicher in unserem Land noch nicht in allen
Bereichen geglückt. Ich glaube allerdings, dass wir, was die freie
Religionsausübung betrifft, in Deutschland durchaus vorbildlich sind.
SPIEGEL: Gegen den Bau von Moscheen gibt es in manchen Städten Proteste.
Kauder: Das sind Einzelfälle. Bedeutend ist etwas anderes: Der Staat
garantiert prinzipiell, dass Muslime bei uns ihre Religion leben und
Moscheen bauen können. Wer wie ich so deutlich für die Religionsfreiheit
eintritt, für den ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Muslime Häuser
bauen dürfen, in denen sie ihren Gott anbeten und ihre Religion leben
können. Ich erwarte allerdings auch, dass Muslime, die das Glück der
Glaubensfreiheit in unserem Land erleben, sich mit mir in ihren
Herkunftsländern dafür einsetzen, dass Christen dort die gleiche Möglichkeit
haben.
SPIEGEL: Sie haben Bundespräsident Christian Wulff dafür kritisiert, dass er
gesagt hat, der Islam gehöre zu Deutschland. Dabei hat er doch recht.
Kauder: Sprachlich heißt dazugehören, identitätsstiftend zu sein. Der Islam
hat die deutsche Identität aber nicht mitgeprägt. Er hatte bislang keinen
prägenden Einfluss auf unser Land. Mag sein, dass sich das ändern wird.
SPIEGEL: Ist die Bundesrepublik ein christlicher Staat?
Kauder: Das Bundesverfassungsgericht hat formuliert, dass die Bundesrepublik
Deutschland weltanschaulich neutral, aber nicht wertneutral ist. Das heißt:
Unser Staat spricht sich nicht für eine Religion als Staatsreligion aus. Das
halte ich für richtig. Aber wir haben natürlich eine
christlich-abendländische Tradition, zu der vor allem der Schutz der
Menschenwürde als oberster Wert der Verfassung gehört. Dieser Rang der
menschlichen Würde entspringt dem Gedanken, dass jeder Mensch ein Ebenbild
Gottes ist.
SPIEGEL: Die Kirche selbst hat über Jahrhunderte hinweg Menschen die Würde
genommen. Erst die Aufklärung hat dafür gesorgt, dass sich die Demokratie
durchsetzen konnte, auch gegen die Kirche. Beruhen unsere Werte nicht eher
auf der Aufklärung als auf dem Christentum?
Kauder: Da müssen wir unterscheiden zwischen den Inhalten des Christentums
und der Praxis der Kirche vor der Aufklärung. Da war die Kirche nicht immer
auf Seiten der Demokratie, aber die Würde des Menschen, die der Demokratie
zugrunde liegt, entspringt der Ebenbildlichkeit des Menschen zu Gott.
SPIEGEL: Gibt es eine christliche Leitkultur in diesem Land?
Kauder: Unser Wertekanon ist im Grundgesetz formuliert, und dieser
Wertekanon ist geprägt von christlichen Überzeugungen: Würde des Menschen,
Unantastbarkeit des Lebens, Religionsfreiheit. Aber eine ausschließlich
christliche Leitkultur, die womöglich noch missverstanden werden könnte als
eine konfessionelle Leitkultur, die gibt es in Deutschland nicht.
SPIEGEL: Der Anteil der Muslime in Deutschland wird aller Voraussicht nach
steigen. Stellt das die Werteordnung dieses Landes in Frage?
Kauder: Ich glaube, dass wir die Grundüberzeugungen unseres Wertesystems
verteidigen müssen. Über diese müssen wir mit den Muslimen in Deutschland
reden. Zu diesen Grundüberzeugungen gehört auch die Gleichberechtigung von
Mann und Frau.
SPIEGEL: Gehört dazu auch, dass muslimische Schüler ein Kruzifix im
Klassenzimmer aushalten müssen?
Kauder: Das Kreuz ist ein Symbol der Werteentscheidung, die sich auch in
unserem Grundgesetz widerspiegelt. Es wird niemand gezwungen, dieses Kreuz
zu verehren. Es ist ein Hinweis auf Jesus Christus und darauf, dass er durch
sein eigenes Leid den Menschen dieser Welt angenommen hat.
SPIEGEL: Aber es zeigt auch, dass sich dieser Staat mit den christlichen
Kirchen verbündet hat. Wie soll ein Muslim da ein guter Staatsbürger werden?
Kauder: Der Staat hat bei uns mit den christlichen Kirchen, die als
Körperschaften des öffentlichen Rechts organisiert sind, in der Tat
besondere Beziehungen. Da kann ich nur die Muslime auffordern, sich auch in
entsprechender Weise zu organisieren. Bislang gibt es im Islam aber keine
Trennung von Religion und Staat, weshalb die Imame in den türkischen
Moscheen hier vom türkischen Staat eingesetzt werden. Der Islam sollte sich
da im eigenen Interesse europäisieren.
SPIEGEL: Ist das Kopftuch vereinbar mit unserer Werteordnung?
Kauder: Das Grundgesetz schreibt keine Kleiderordnung vor. Insofern darf
jeder seine Baseballkappe auch mit Schild nach hinten tragen. Das Kopftuch
ist bei Muslimen allerdings ein Zeichen ihrer religiösen Überzeugung.
Deswegen hat nach meiner Auffassung das Kopftuch in öffentlichen
Einrichtungen, in Gerichtssälen, in Verwaltungen und in Schulen nichts zu
suchen.
SPIEGEL: Fällt die Burka auch unter die liberale Kleiderordnung in
Deutschland?
Kauder: Ich finde die Burka nicht wirklich schön. Das Gesicht ist ein
wesentlicher Teil einer Persönlichkeit und der Ausdrucksmöglichkeiten des
Menschen. Wenn ich mit jemandem spreche, möchte ich ihr oder ihm in die
Augen schauen. Deswegen finde ich das nicht schön, aber ich sehe keine
Notwendigkeit für ein Verbot.
SPIEGEL: Ist die Burka nicht ein Verstoß gegen die Würde des Menschen?
Kauder: Ob eine Burka der Würde der Frau wirklich gerecht wird, wage ich zu
bezweifeln. Aber ich sehe keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf.
SPIEGEL: Aber wenn eine Burka die Würde des Menschen verletzt, ist sie ein
Verstoß gegen Artikel 1 des Grundgesetzes.
Kauder: Soweit die Frauen freiwillig eine Burka tragen, ist dies kein
Verstoß gegen die Würde. Und ich kann nicht prüfen, ob es freiwillig
geschieht oder nicht.
SPIEGEL: Das Thema Präimplantationsdiagnostik, PID, verbindet derzeit
Politik und Religion. Wie stehen Sie als Christ dazu?
Kauder: Das Bundesverfassungsgericht sagt: Es darf keine Verzweckung des
Menschen stattfinden. Dies sei mit der Würde des Menschen unvereinbar. Und
ich bin schon frühzeitig in meinem Leben zu der Überzeugung gekommen, dass
der Mensch kein Recht hat, über menschliches Leben zu verfügen.
SPIEGEL: Ist eine befruchtete Eizelle ein Mensch?
Kauder: Ich bin der Überzeugung, dass menschliches Leben mit der
Verschmelzung von Ei und Samenzelle beginnt, weil dieser Vorgang etwas ganz
Neues erschafft. Danach gibt es keinen entscheidenden Qualitätssprung mehr -
danach gibt es nur noch quantitative Entwicklungen.
SPIEGEL: Sollte die PID also unter Strafe gestellt werden?
Kauder: Ich bin für ein Verbot der PID und eine Strafbewehrung. Es handelt
sich nicht um eine solche Konfliktsituation wie nach einer Vergewaltigung,
wenn sich die Frage der Abtreibung stellt. Dort hat der Staat seinen
Strafanspruch verloren. Und eines weiß ich ganz genau: Der Versuch, die PID
auf einige wenige Fälle zu beschränken, wird nicht gelingen. Es wird nach
meiner Überzeugung fast zwangsläufig zu Selektionen kommen. Was wird der
Arzt bei einer Frau tun, die schon zwei Mädchen hat und unbedingt einen
Jungen will, wenn alle mit der PID untersuchten Eizellen gesund sind, zwei
Eizellen aber weiblich und eine männlich?
SPIEGEL: Der Junge-Union-Chef Philipp Mißfelder hat gesagt, das C spiele in
der CDU kaum noch eine Rolle: "Vielleicht bei Kauder, der ist da sehr
engagiert." Sind Sie noch in der richtigen Partei?
Kauder: Ja. Die CDU macht Politik auf der Grundlage des christlichen
Menschenbildes, dessen Grundansatz am besten im Galater-Brief des Apostels
Paulus im Neuen Testament beschrieben ist. Dort steht, dass der Mensch zur
Freiheit berufen ist, aber auch zur Verantwortung für seinen Mitmenschen. In
diesen Sätzen drückt sich alles aus. Und das ist der Maßstab für die Politik
der CDU.
SPIEGEL: Herr Kauder, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
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