30.05.2011

Algerien: Dramatische Verschärfung im Vorgehen gegen Christen

Drei Monate nachdem Algerien den seit 19 Jahren bestehenden Ausnahmezustand offiziell aufgehoben hat, hat Präsident Abdelaziz Bouteflika deutlich gemacht, dass sein Regime die Bürgerrechte weiterhin einzuschränken beabsichtigt. Letzte Woche haben die Behörden in der ostalgerischen Provinz Béjaia die Schließung aller sieben protestantischen Kirchen angeordnet. Und drei Tage danach verurteilte ein Gericht in Djemal in der Provinz Oran im Westen Algeriens einen Christen zu fünf Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von 200.000 algerischen Denar (ca. 1.900 Euro).

Am 22. Mai wurde Mustafa Krim, dem Präsidenten der protestantischen Kirche in Algerien (EPA) eine auf Anweisung der Provinzverwaltung von Béjaia verfasste Mitteilung der Polizei zugestellt, dass alle nicht von der Regierung genehmigten nicht moslemischen Gottesdienststätten endgültig zu schließen sind. Die Formulierung lässt darauf schließen, dass die Regierung beabsichtigt, nicht genehmigte Gottesdienststätten im gesamten Staatsgebiet unter Berufung auf ein Gesetz von 2006 zu schließen.

Am 25. Mai befand ein Gericht in Djemal den Christen Abdelkarim Siaghi, einen Konvertiten aus dem Islam, für schuldig, gegen Artikel 144 (b) 2 des Strafgesetzbuchs verstoßen zu haben, der Strafen für jeden vorsieht, der „den Propheten und die Boten Gottes beleidigt oder das Dogma oder die Lehre des Islam herabsetzt, sei es durch Schriften, Zeichnungen, mündliche Äußerungen oder auf andere Weise“. Sein Vergehen, er hatte einem Nachbarn eine christliche CD geschenkt. Dieser beschuldigte ihn dann, dass er versucht hätte, ihn zu bekehren und den Propheten Mohammed beleidigt hätte. Siaghi bestreitet, Mohammed beleidigt zu haben, und der Nachbar, der die Anzeige erstattet hatte, erschien nicht vor Gericht. Obwohl die Anklage weder einen Zeugen stellte noch Beweise vorlegte, wurde Abdelkarim Siaghi zu 5 Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von umgerechnet 1.900 Euro verurteilt. Dies ist das höchste Strafausmaß für Verstöße gegen Artikel 144. Siaghi hat Berufung gegen das Urteil eingelegt.

Bereits im April war einer anderen protestantische Kirche im Gebiet von Makouda in der Provinz Tizi Ouzou ein ähnlicher Schließungsbefehl nach dem Gesetz von 2006 zugestellt worden, doch bis zum Tag der Abfassung dieses Berichts haben die Behörden nichts unternommen, um diesen durchzusetzen.

Etwa 99 Prozent der 35,7 Millionen Einwohner Algeriens sind Moslems, vor allem Sunniten. Man schätzt, dass es etwa 50.000 Protestanten und 45.000 Katholiken im Land gibt.

Nach dem Gesetz von 2006 mit der Bezeichnung „Verordnung 06-03“, das 2008 in Kraft gesetzt wurde, ist jede nicht vom Staat geregelte religiöse Betätigung ein Verbrechen. Das Gesetz sieht vor, dass nicht moslemische Religionen nur an vom Staat genehmigten Stätten ausgeübt werden dürfen. Aufgrund des Gesetzes wurde eine nationale Kommission für Religionen ins Leben gerufen, die ermächtigt ist, die Registrierung von Religionsgesellschaften zu regeln.

Die protestantische Kirche Algeriens ist staatlich registriert. Doch die Regierung fordert offensichtlich nach wie vor, dass alle Gottesdienststätten nach dem vage formulierten Gesetz von den Behörden „genehmigt“ werden müssen. Es ist auch unklar, ob die untergeordneten Einheiten bzw. Körperschaften einer registrierten religiösen Organisation auch als illegal gelten.

In einem Bericht vom August 2010 stellte Amnesty International fest: „Seit der Bekanntmachung der Verordnung 06-03 haben die Behörden  sich beständig geweigert, protestantische Kirchen zu registrieren und dadurch die protestantischen Gemeinden in Algerien, die ihr legitimes Recht, ihre Religion zu praktizieren, ausüben wollen, gezwungen, sich an nicht vom Staat genehmigten Gottesdienststätten zu versammeln, und sich dadurch der Strafverfolgung auszusetzen.“ Zur Verschleppung der Registrierung nicht islamischer Organisationen bedient sich die Regierung meist der Ausflucht, dass demnächst eine Neufassung des Vereinsgesetzes von 1973 verabschiedet wird.

Die algerische Verfassung schützt die Religionsfreiheit von Nichtmoslems, erklärt jedoch gleichzeitig den Islam zur Staatsreligion und verbietet jedes mit der islamischen Moral unvereinbare Verhalten. Auf diese Weise hat sich der Staat den Weg für ein Verbot der Evangeliumsverkündigung an Moslems geebnet.

„Die drei Zwischenfälle, die Befehle zur Schließung von zwei Kirchen und die Verurteilung eines Christen in der Provinz Oran sind Teil einer Kampagne gegen den christlichen Glauben“, erklärte ein christlicher Leiter gegenüber der Kommission für Religionsfreiheit der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA-RLC).

Die WEA-RLC befürchtet, dass das harte Vorgehen gegen Christen und christliche Organisationen ein Versuch ist, ein Wachsen der Kirche im Klima der Freiheit nach der Aufhebung des Ausnahmezustandes zu verhindern. Das Regime von Präsident Bouteflika hatte zwei Jahrzehnte lang die Redefreiheit und Versammlungsfreiheit im Namen der Bekämpfung eines Aufstands der Islamisten eingeschränkt. Der Bürgerkrieg zwischen der Militärregierung und islamistischen Gruppen forderte in den 1990-er Jahren laut Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen über 200.000 Tote. Über 7.000 Personen, die meisten von ihnen Zivilisten, sind verschwunden. Der Aufstand flaute rasch ab, doch Bouteflika weigerte sich, den Ausnahmezustand aufzuheben, da ihm die Verhängung von Restriktionen seit 1999 half, an der Macht zu bleiben.

Es scheint, dass Präsident Bouteflika, der unter anderem wegen der im Land herrschenden Korruption und der Vernachlässigung der Bedürfnis der Menschen nicht sehr populär ist, seinen Untertanen weiterhin Furcht einflößen möchte, damit es nicht zu einem Aufstand gegen seine Herrschaft kommt, wie in anderen Ländern der Region. Obwohl der Ausnahmezustand aufgehoben wurde, ist nicht zu erwarten, dass die Regierung die Menschenrechte respektieren wird.

Bericht: WEA-RLC mit ergänzenden Informationen von Middle East Concern

Deutsche Fassung: Arbeitskreis Religionsfreiheit der Österreichischen Evangelischen Allianz