28.11.2011

Arabische Welt: Bringen die neuen Demokratien mehr Glaubensfreiheit?

Christen zwischen Hoffen und Bangen

Arabische Welt: Bringen die neuen Demokratien mehr Glaubensfreiheit?

Christen zwischen Hoffen und Bangen

Rabat/Kairo/Damaskus/Sanaa (idea) – Zwischen Hoffen und Bangen verharren die christlichen Minderheiten in der arabisch-islamischen Welt. Einerseits hoffen sie angesichts der politischen Umbrüche auf mehr Demokratie und Menschenrechte, andererseits bangen sie weiter um ihre Glaubensfreiheit. Denn niemand weiß, wie tolerant die meist islamistischen Sieger der ersten demokratischen Wahlen gegenüber Andersgläubigen sein werden. So ist aus den vorgezogenen Parlamentswahlen in Marokko die als gemäßigt geltende islamistische Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung PJD als stärkste Kraft hervorgegangen. Sie erhielt  80 von 395 Mandaten. Parteichef Abdelilah Benkirane erklärte sich bereit, mit allen interessierten Parteien zu koalieren. Der 47-jährige König Mohammed VI. bleibt eine starke politische Kraft; er kontrolliert die Armee, das Justizsystem und die islamischen Einrichtungen. Von den rund 32 Millionen Einwohnern Marokkos sind nach offiziellen Angaben 99,8 Prozent Muslime. Die Zahl der Christen wird auf 29.000 geschätzt. 2010 wurden mehr als 100 ausländische Christen des Landes verwiesen. Den humanitären Helfern wurde die Abwerbung von Muslimen zum Christentum vorgeworfen.

Tunesien: Islamisten stärkste politische Kraft

Die ersten freien Wahlen in Tunesien haben bereits im Oktober stattgefunden. In der verfassungsgebenden Versammlung errang die islamistische Partei Ennahda (Wiedergeburt) 90 der 217 Sitze. Beobachter schließen nicht aus, dass sich die künftige Verfassung an einer strengen Auslegung islamischer Regeln orientieren wird. Allerdings hat Parteichef Rashid al-Ghanushi angekündigt, die Rechte von Frauen, Männern, Religiösen und Nicht-Religiösen zu sichern. Unter den etwa zehn Millionen Einwohnern Tunesiens leben etwa 31.000 Christen.

Libyen: Scharia wird Grundlage des Staates

Nach dem Sturz und der Tötung des Machthabers Muammar Gaddafi in Libyen hat der Übergangsrat angekündigt, dass das islamische Religionsgesetz, die Scharia, die Grundlage des künftigen Rechtsstaates bilden solle. Sie sieht unter anderem die Todesstrafe für den „Abfall vom Islam“ vor und bedroht daher vor allem Muslime, die Christen werden. Von den 6,5 Millionen Einwohnern sind 97 Prozent Muslime. Die Zahl der Christen wird mit annähernd 173.000 beziffert.

Ägypten: Was wollen die Muslim-Brüder?

In Ägypten haben am 28. November erstmals nach dem Sturz des diktatorischen Regimes von Hosni Mubarak im Februar demokratische Wahlen begonnen. Sie sollen in mehreren Phasen in verschiedenen Landesteilen stattfinden und in die Präsidentschaftswahl am 10. März münden. Die größten Chancen werden der früher verbotenen Muslim-Bruderschaft eingeräumt. Beobachter trauen ihr zu, bis zu 45 Prozent der Parlamentssitze zu gewinnen und die verfassunggebende Versammlung zu dominieren. Die islamistische Bewegung verhält sich bei der Formulierung ihrer politischen Ziele von jeher eher vage, hofft aber selbst auf wenigstens ein Drittel aller Parlamentssitze. Vor den Wahlen kam es zu blutigen Auseinandersetzungen bei Demonstrationen auf dem Kairoer Tahrir-Platz, die sich gegen den Obersten Militärrat richteten, der die Übergangsregierung stellt. Die Zusammenstöße forderten fast 40 Menschenleben. Die christliche Minderheit ist unsicher, ob ihnen die Zukunft mehr Religionsfreiheit und Sicherheit bringen wird. Immer wieder ist sie zum Ziel gewalttätiger Anschläge muslimischer Extremisten geworden. Nach Einschätzung der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) sind die Folgen der ersten freien Wahlen nicht absehbar. Auch die Weltweite Evangelische Allianz (WEA) bringt ihre Besorgnis zum Ausdruck. Die Kopten seien als größte religiöse Minderheit besonders bedroht. Die WEA ruft zur Fürbitte für Ägypten auf: „Betet, dass der Herr diese Nation führt und leitet. Bittet ihn, dass er Führer erwählt, die mit Integrität und Gottesfurcht regieren.“ Von den 83 Millionen Einwohnern sind 90 Prozent Muslime und etwa zehn Prozent Christen, meist Kopten.

Syrien: Christen gehen auf Distanz zum Assad-Regime

In Syrien geht das Regime von Staatschef Baschar al Assad besonders brutal gegen Protestierende vor. Allein am 27. November töteten Sicherheitskräfte mindestens 23 Menschen. Wegen der anhaltenden Gewalt hat die Arabische Liga einschneidende Wirtschaftssanktionen gegen das Land verhängt. Von den 22,5 Millionen Einwohnern sind etwa 1,4 Millionen Christen. Traditionell haben sie sich eher zur seit 1963 regierenden sozialistischen Baath-Partei gehalten, die ihnen relative Religionsfreiheit gewährte. Doch inzwischen distanzieren sich immer mehr Christen von dem Regime. Sie sehnten sich nach demokratischem Wandel, erklärte der Nahostexperte des katholischen Missionswerks „Missio“, Ottmar Oehring. Zu antichristlichen Kampagnen sei es in Syrien bisher nicht gekommen. Gleichwohl fürchteten manche Christen ein Erstarken radikal-islamischer Kräfte.

Jemen: Kaum Besserung für Christen in Sicht

Nach monatelangen blutigen Protesten im Jemen, einem der strengsten islamischen Länder der Welt, hat der seit 33 Jahren regierende Staatspräsident Ali Abdullah Saleh eingewilligt, die Macht binnen 90 Tagen an Vizepräsident Abd Rabbo Mansur Hadi abzugeben. Als „Gegenleistung“ wurde Saleh Straffreiheit zugesichert. Am 21. Februar soll im Jemen ein neuer Präsident gewählt werden. Die wenigen Christen im Land können nach Einschätzung des christlichen Hilfswerks Open Doors (Kelkheim bei Frankfurt am Main) kaum auf Besserungen hoffen. Die meisten der rund 6.000 ausländischen Christen hätten während der Unruhen das Land verlassen. Über die Zahl einheimischer Christen, die sich im Untergrund versammeln, gebe es nur vage Schätzungen; sie bewegten sich zwischen 500 und 1.000. Muslimen, die sich einer anderen Religion zuwenden, drohe die gesellschaftliche Ächtung, schlimmstenfalls sogar der Tod. Wo es möglich sei, träfen sie sich in Hausgemeinden. Von den 24,3 Millionen Einwohnern Jemens sind offiziell 99,9 Prozent Muslime.

Christliche Familie aus Sachsen im Jemen spurlos verschwunden

Im Norden des Landes ereignete sich 2009 eine der tragischsten Entführungen von Christen. Das Ehepaar Johannes und Sabine Hentschel aus dem sächsischen Meschwitz, die seit 2003 an einem staatlichen Krankenhaus in der Provinz Saada arbeiteten, wurden am 12. Juni 2009 mit ihren drei Kindern und vier anderen Christen während eines Ausflugs verschleppt. Von den Eltern und ihrem damals einjährigen Sohn Simon sowie von einem britischen Ingenieur fehlt seither jede Spur. Drei der Opfer – zwei deutsche Krankenschwestern und eine südkoreanische Lehrerin – wurden erschossen aufgefunden. Die Kinder Lydia (7) und Anna (5) Hentschel konnten im Mai 2010 überraschend befreit werden und nach Deutschland zurückkehren. Die Suche nach Hentschels ist inzwischen offiziell eingestellt worden.