21.04.2012
Aserbaidschan: Religionsfreiheit - Überblick
Kurz bevor Aserbaidschan im Mai wegen der Austragung des Eurovision Song Contest im Blickpunkt der Medien steht, stellt der Nachrichtendienst Forum 18 fest, dass die Religionsfreiheit und andere damit in Zusammenhang stehende Menschenrechte wie die Rede- und Versammlungsfreiheit nach wie vor stark eingeschränkt sind. Verletzungen grundlegender Menschenrechte sind an der Tagesordnung, wobei Beamte oft betonen, dass diese Rechte nur mit der ausdrücklichen Erlaubnis des Staates ausgeübt werden können.
Aserbaidschan ist der größte Staat der südlichen Kaukasusregion. Über 90 % der Gesamtbevölkerung sind ethnische Aserbaidschaner, mehrheitlich Schiiten. Nur ca. 2 % der Bevölkerung dieser ehemaligen Sowjetrepublik sind Russen oder sonstige Slawen.
An der Spitze des Staates steht seit 2003 Präsident Ilham Aliev, der nach dem Tod seines Vaters Heidar Aliev dessen Nachfolge antrat. Trotz enormer Einnahmen aus dem Ölexport lebt ein Großteil der Bevölkerung nach wie vor in Armut. Die Religionsfreiheit ist massiv eingeschränkt. Auf die Menschenrechtsverletzungen angesprochen kontern Vertreter des Staates oft mit der Behauptung, dass interreligiöse Harmonie und religiöse Toleranz herrschen. Dies wird auch von den vom Staat bevorzugten Religionsgemeinschaften behauptet. Während Präsident Aliev im April 2011 bei der Eröffnung des von der Regierung initiierten Weltforums über interkulturellen Dialog in Baku behauptete, dass in Aserbaidschan ein hohes Maß ethnischer und religiöser Toleranz herrschte und diese als „Quelle unserer Stärke“ bezeichnete, wurde gleichzeitig in Gyanja, der zweitgrößten Stadt des Landes, einer muslimischen und einer protestantischen Gemeinschaft verboten, sich weiter zu versammeln. Dabei verhalten sich Beamte oft so, als würden ihnen Recht und Gesetz keinerlei Grenzen auferlegen. Ein konkreter Fall: Bei einer Razzia in einer Baptistengemeinde in Sumgait in der Nähe der Hauptstadt Baku im Juni 2011 fragten Mitglieder der Gemeinde nach einem Hausdurchsuchungsbefehl. Der Beamte des Komitees für religiöse Angelegenheiten antwortete: „Ich bin die Erlaubnis und der Durchsuchungsbefehl“. Unfaire Gerichtsverfahren mit massiven Verletzungen der Verfahrensregeln sind keine Seltenheit. Es gab sogar Verfahren, die nicht nur in Abwesenheit der Angeklagten, sondern sogar ohne deren Wissen durchgeführt wurden. Die gesetzlichen Beschränkungen der Ausübung der Religionsfreiheit wurden seit der Unabhängigkeit des Landes immer wieder verschärft, ebenso wie die Strafen für Religionsausübung ohne staatliche Registrierung. Das Religionsgesetz wurde seit seiner Verabschiedung 1992 bereits 14 Mal abgeändert. Gesetzestexte und Bestimmungen wurden oft im Geheimen erstellt und bilden ein Labyrinth restriktiver staatlicher Kontrollen. Die internationalen Menschenrechtsstandards, zu deren Einhaltung sich Aserbaidschan verpflichtet hat, werden den Bürgern des Landes vorenthalten. Es herrscht strenge Zensur, wovon sowohl Buchhandlungen als auch Kopierläden betroffen sind, ebenso Postpakete aus dem Ausland. Das willkürlich gehandhabte System der verpflichtenden staatlichen Registrierung von Religionsgemeinschaften ist offensichtlich darauf ausgelegt, die Ausübung der Religionsfreiheit einschließlich des Existenzrechts der Religionsgemeinschaften von der staatlichen Genehmigung abhängig zu machen. Immer wieder werden Schließungen von Moscheen, christlichen Gemeinden und anderen Gottesdienststätten erzwungen. Derzeit (April 2012) wird versucht, die „Größere Gnade“ Gemeinde in der Hauptstadt Baku per Gerichtsbeschluss zu schließen. Die Baptistengemeinde in Neftechala, die sich seit 1999 vergeblich um Registrierung bemüht hatte, wurde im Dezember 2011 geschlossen. Öffentliche Gebete der Muslime außerhalb der Moscheen sind verboten. Obwohl Aserbaidschan 2001 anlässlich des Beitritts zum Europarat zugesichert hat, innerhalb von zwei Jahren einen Wehrersatzdienst einzuführen, ist dies bis heute nicht geschehen und werden nach wie vor Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen eingekerkert. Ausländer, die sich religiös betätigen, werden deportiert.
Quelle: Forum 18, Oslo
Deutsche Fassung: Arbeitskreis Religionsfreiheit der ÖEA