09.03.2012

Usbekistan: Christliche Radioarbeit

Aybek und die Predigt in der Moschee

Usbekistan: Christliche Radioarbeit

Aybek und die Predigt in der Moschee

Warum ein Usbeke sein Leben aufs Spiel setzt - und was christliche Radioarbeit in Ländern bedeutet, wo Religionsfreiheit missachtet wird. Lesen Sie dazu: „Aybek und die Predigt in der Moschee“.

Zitternd und mit schweißnassen Händen steht Aybek vor der Haustür seines Onkels. Gerne hätte er diese Begegnung vermieden. Trotzdem hat er seinen ganzen Mut zusammengenommen. Für dieses letzte Mal.

Dabei könnte es ein ganz normaler Verwandtenbesuch sein, wie es in jeder östlichen, muslimisch geprägten Kultur üblich ist. Die Familie hat einen hohen Stellenwert. Man hilft sich, besucht sich und achtet einander. Aber so intensiv die Beziehungen gepflegt werden, so heftig sind auch die Reaktionen, wenn jemand aus der Tradition ausbricht – wie es der junge Usbeke getan hat. Deshalb wird der Besuch des Neffen bei seinem Onkel wahrscheinlich der letzte sein. Jeder weiß, was zu tun ist, wenn jemand die Familienehre aufs Spiel setzt.

Menschen in Usbekistan: Ihr Land ist frei, sie selbst eher nicht

Fremdwort Religionsfreiheit

Aybek ist in einer streng muslimischen Familie aufgewachsen. Sein Heimatland Usbekistan liegt in Zentralasien und ist seit 1991 unabhängig. Davor war es ein Teil der damaligen Sowjetunion. Fast 90 Prozent der Bevölkerung sind Muslime. Für die wenigen Christen im Land wird die Situation immer schwieriger. Das Land gehört zu den acht Staaten, die nach Meinung der US-Regierung Religionsfreiheit besonders schwer verletzen. Der Weltverfolgungsindex 2012, herausgegeben von der Missionsgesellschaft Open Doors, nennt Usbekistan an siebter Stelle. Auch Amnesty International prangert in ihrem Jahresbericht 2011 die stark eingeschränkte Religionsfreiheit an und nennt ausdrücklich evangelikale Christen, die davon betroffen sind.

Unter anderem bedeutet das, dass christliche Gemeinden nicht ohne vorherige staatliche Registrierung gegründet werden dürfen. Eine solche Registrierung zu erhalten, ist jedoch fast unmöglich, in jedem Fall äußerst langwierig. Von seinem christlichen Glauben zu sprechen ist zudem verboten und kann eine Gefängnisstrafe nach sich ziehen. Besonders schwer haben es Menschen, die vom Islam zum christlichen Glauben übertreten möchten.

Letzte Worte. Eine Stunde lang

Sein Onkel bittet Aybek ins Haus. Alles wirkt so anders als sonst, jetzt, wo er weiß, dass er sich wohl das letzte Mal hier umschauen kann. An der Wand hängt ein Messer, von dem er gut weiß, wozu es gleich dienen wird. Aybek ist ein Störfaktor in der muslimischen Gemeinde. Er verhindert, dass das System weiterhin reibungslos funktioniert. Der Onkel, das Familienoberhaupt, muss für Ordnung sorgen.

Die Sher-Dor-Madrasa (1619–1636), eine ehemalige islamische Hochschule in Samarkand, der viergrößten Stadt Usbekistans

Gerade deshalb ist der Onkel überrascht vom Mut seines Neffen, der es wagt ihn aufzusuchen. Er gewährt dem Abtrünnigen letzte Worte. Aybek nutzt die Gelegenheit und redet noch einmal von seinem neuen Glauben. Für diesen heiklen Moment hat er Gott zuvor inständig um Weisheit gebeten.

Aus ein paar Minuten wird eine ganze Stunde. Der Onkel ist verblüfft: „Woher kommt deine Weisheit?“ fragt er. „Von den Juden?“ Er sieht sich nicht mehr in der Lage, seiner Verantwortung nachzukommen und Aybek umzubringen. Darum befiehlt er ihm: „Du wirst das Gleiche nochmals in der Moschee vortragen!“ Mit diesen Worten hat der Onkel seine eigene Verantwortung an die islamische Gemeinde übertragen. Das Messer bleibt an seinem Platz an der Wand.

Eine ganze Familie unter Druck

Aybek hattes es geschafft, anerkannter Musiker und Radiosprecher in seinem Land zu werden. Er beherrscht u.a. das Spielen der Doira, einem populären usbekischen Rhythmusinstrument. Der junge Künstler ist ein interessanter Mann, weil er selbst an vielem interessiert ist.

Doch nichts kann ihm wirkliche Befriedigung geben. Er will die Wahrheit wissen. Er forscht im Koran und später auch in der Bibel, als er eine in die Hände bekommt. Was er dort liest, trifft ihn mitten ins Herz. Das Wunder, das allein Gottes Geist bewirken kann, geschieht: Er wird Christ. Sein neues Wissen, das zu diesem Zeitpunkt noch recht bruchstückhaft ist, will er nicht für sich behalten. Er beginnt, Bibeltexte an alle Verwandten zu verteilen.

Bald wird Aybeks Familie wegen seiner Abkehr vom Islam massiv unter Druck gesetzt. Der örtliche Geistliche droht den Verwandten an, der gesamten Familie bei zukünftigen Bestattungen das Gebet vorzuenthalten - für Muslime ein unerträglicher Gedanke. Das islamische Totengebet bei einer Beerdigung ist eine kollektive Pflicht mit genau vorgeschriebenem Ablauf. Aybek bricht es das Herz, seine Familie leiden zu sehen.

Eine Lebenspredigt in der Moschee

Abends kommt das ganze Dorf in der Moschee zusammen. Die Zeit bis dahin erscheint Aybek ewig. Er wartet zu Hause und weint zusammen mit seiner Mutter, die weiß, dass er diesen Abend wohl nicht überleben wird.

Während die Verantwortlichen mit den Vorbereitungen für den Abend beschäftigt sind, herrscht im Dorf plötzlich Stromausfall. Als der Onkel bei Aybek und dessen Familie vorbeikommt, schlägt er vor, Kerzen in der Moschee aufzustellen. Doch Aybek sagt: „Ich habe das Licht des Glaubens. Es wird uns Licht geben, wenn ich in der Moschee sein werde.“ Daraufhin betet er, bis er selbst nicht nur Frieden verspürt, sondern auch die Gewissheit, dass Gott ihm die richtigen Worte schenken wird.

Aybek betritt den Raum der Moschee, als sich bereits zahlreiche Dorfbewohner betend in der dunklen Moschee versammelt haben. Genau in diesem Moment geht das Licht plötzlich wieder an. Das versteht er als ein deutliches Zeichen von Gott. Er bekommt neuen Mut.

Die Moscheebesucher sind für einen Augenblick verblüfft und neugierig. Sie wollen diesen Mann gerne einmal reden hören, erlauben ihm aber nicht, etwas über die Bibel zu sagen. Aybek lässt sich nicht einschüchtern. Er ist fest entschlossen, seine Chance zu nutzen, vor so vielen Menschen seinen Glauben zu bezeugen. Man einigt sich auf einen Kompromiss: Aybek darf seine Lebensgeschichte erzählen. Er redet eine Stunde lang zu den schweigenden Moscheebesuchern.

Als Aybek fertig ist, spricht niemand auch nur ein Wort – bis sein Onkel die Stille durchbricht. Er fordert die Anwesenden heraus: „Hat noch jemand Fragen?“ Niemand antwortet. Aybek richtet sich noch einmal eindringlich an seine Zuhörer: „Gott sandte allen Menschen sein Evangelium durch die Bibel, aber ihr nehmt es nicht an. Darum nehmt ihr auch mich nicht an. Gott wird euch eines Tages fragen, warum ihr ihm nicht geglaubt habt, als er mich geschickt hat.“

Daraufhin verlässt einer nach dem anderen wortlos die Moschee. Niemand klagt ihn an. Als letztes geht der Vorsteher der Gemeinde, der Mullah. Aybek atmet auf, weil er weiß: Er darf im Dorf und bei seiner Familie bleiben.

Unter Gottes Schutz

Gott belohnt Aybeks Mut. Knapp zwei Jahre später kommen sein Onkel und einige Familienmitglieder zum Glauben an Jesus Christus. In einer Gegend, wo es früher keine Christen gab, leben heute etwa 100 Gläubige. Aybek erfährt: Gott ist den Schwachen gnädig, aber er bewirkt Großes, wenn wir mutig sind.

Aybek hat inzwischen seine Erlebnisse in einem Buch aufgeschrieben. Immer mit dem Bewusstsein, dass ihn das Verteilen christlicher Literatur in große Schwierigkeiten bringen kann. Doch Aybek bleibt von einer Strafe verschont. Gott hält seine schützende Hand über ihn. Bis heute.

Quelle: ERF International, Autor: Sonja Kilian