10.04.2015

Russland: Staat und Kirche bilden einen Pakt

Politikwissenschaftler: Putin macht sich die orthodoxe Kirche zunutze

Russland: Staat und Kirche bilden einen Pakt

Politikwissenschaftler: Putin macht sich die orthodoxe Kirche zunutze

Moskau (idea) – In Russland bilden der Staat und die Russisch-Orthodoxe Kirche einen Pakt, den beide Seiten nutzen. Präsident Wladimir Putin zieht das Religiöse in sein politisches Kalkül ein, und die Kirche dankt es ihm mit Staatstreue. Das erklärte der Politikwissenschaftler und Publizist Jörg Himmelreich (Köln) in einer Sendung des Deutschlandradios Kultur (Berlin). Himmelreich lehrt Politische Wissenschaft an der Jacobs-Universität Bremen, war Sachverständiger der EU-Untersuchungskommission zum Georgien-Krieg 2008 und schreibt unter anderem für die Neue Zürcher Zeitung und „Die Welt“ (Berlin). Er erinnert daran, dass die Russisch-Orthodoxe Kirche den ideologisch entleerten Raum der nachkommunistischen Zeit mit Riten, Glauben und Tradition gefüllt habe. Das sei „Balsam für die verwundete russische Seele“. In der politischen Elite sei der orthodoxe Segen so begehrt wir seit langem nicht mehr. Putin habe die Verbundenheit im orthodoxen Glauben auch beim Besuch des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras in Moskau beschworen. Außerdem habe der Präsident die russisch-orthodoxen Christen außerhalb Russlands unter seinen Schutz gestellt.

Krim: Restriktionen für Nicht-Orthodoxe

Auf der vor einem Jahr von Russland annektierten ukrainischen Halbinsel Krim haben nicht-orthodoxe Kirchen und Religionsgemeinschaften einen schweren Stand. Besonders evangelikale Gemeinden sind nach Angaben der internationalen Hilfsaktion Märtyrerkirche scharfen Restriktionen unterworfen. Ihnen werde vielfach unterstellt, als Spione für den Westen zu agieren. Nach der Aneignung der Krim hatte die dortige Rechtsbehörde angeordnet, dass sich alle Religionsgemeinschaften nach russischem Recht neu registrieren lassen müssen. Daraufhin gingen 150 Anträge ein. Doch nur zwei Zentralorganisationen – eine orthodoxe Diözese und das islamische „Muftiat“ – wurden nach Angaben des auf Osteuropa spezialisierten Informationsdienstes „Forum 18“ (Oslo) bisher anerkannt. Zwar können religiöse Gemeinden auch ohne staatliche Registrierung Glaubensversammlungen abhalten, aber sie haben keine Körperschaftsrechte. Sie dürfen daher beispielsweise keine Mietverträge abschließen, Mitarbeiter anstellen oder Ausländer als Prediger einladen. Das Moskauer Patriarchat der Russisch-Orthodoxen Kirche hat aber anerkannt, dass die drei ukrainisch-orthodoxen Diözesen auf der Schwarzmeer-Halbinsel weiter dem Patriarchat in Kiew (Ukraine) unterstehen.

Viele Russen setzen Volkszugehörigkeit mit Religion gleich

Von den 1,8 Millionen Einwohnern der Krim haben rund 60 Prozent russische und etwa 25 Prozent ukrainische Wurzeln. Daneben gibt es die muslimisch geprägten Krim-Tataren (zwölf Prozent) und weitere Minderheiten. Von den 143 Millionen Einwohnern Russlands gehört etwa ein Viertel einer Kirche an. Die russisch-orthodoxe Kirche hat rund 35 Millionen Mitglieder. Etwa 100 Millionen Einwohner bezeichnen sich als orthodox, weil sie die Volkszugehörigkeit mit der Konfession gleichsetzen. Daneben gibt es 500.000 Katholiken, 200.000 Lutheraner, jeweils 150.000 Baptisten und Charismatiker, 120.000 Pfingstler und 70.000 Adventisten. Der Anteil der Muslime wird auf zehn Prozent geschätzt.