08.06.2015
Südsudan: Lage der Christen wird dramatischer
„In der Früh wissen wir nicht, ob wir abends noch leben“
Südsudan: Lage der Christen wird dramatischer
„In der Früh wissen wir nicht, ob wir abends noch leben“
Die Lage im Südsudan wird immer dramatischer. Verschiedenen Organisationen haben den Ordensleuten geraten, das Land zu verlassen. Obwohl sie bedroht sind, bleiben sie an der Seite der Bevölkerung.
Die beiden Schwestern hatten Glück im Unglück. Kaum hatten sie das Gelände des Flüchtlingslagers verlassen, fielen Salven von Schüsse. Der Mann, der sie begleitete, wurde getroffen. Er war sofort tot. Die Ordenskleider der Schwestern waren voller Blut. Rebellen hatten sich hinter einem Felsen versteckt und feuerten mit Maschinengewehren. Der Krieg findet auch vor den Toren des Flüchtlingslagers in Juba statt. 28.000 Familien haben hier Zuflucht gefunden. Schwestern der Kongregation der „Daughters of Mary Immaculate“ besuchen hier regelmäßig die Kranken und Hilfsbedürftigen.
Die meisten der Ordensfrauen sind noch jung. Der Altersdurchschnitt liegt bei gerade einmal 28 Jahren. Die meisten von ihnen stammen aus Indien, wo der Orden gegründet wurde. Für viele ist es das erste Mal in ihrem Leben, dass sie mit Maschinengewehren, Militärfahrzeugen und dem Lärm der Bombardierungen konfrontiert sind. Manche von ihnen mussten die Gewalt schon hautnah erfahren. Die 23jährige Schwester Maya wusch gerade ein paar Kleidungsstücke, als plötzlich Männer in den Raum eindrangen. Einer von ihnen hielt ihr ein Gewehr ans Kinn, ein anderer von ihnen hielt ihr ein Messer an die Kehle. Sie schleppten die junge Schwester in das Esszimmer, wo drei andere Schwestern saßen und lasen. Inzwischen waren weitere Männer in das Haus eingedrungen, die den anderen Schwestern Gewehre an den Kopf hielten. „Wenn ihr schreit, bringen wir euch um!“, drohten sie. Die Ordensfrauen wurden zusammen in ein Zimmer gesperrt und wurden von einem der Männer bewacht. Inzwischen plünderten die anderen vier Eindringlinge das Haus. Sie zogen fast eine halbe Stunde lang durch alle Räume, stahlen, was sie tragen konnten, zerstörten den Rest und verschwanden dann. Schwester Vijii meint: „Ich glaube, es handelt sich um gezielte Einschüchterungsaktionen. Sie wollen, dass wir von hier weggehen!“
Auch Pater Albert Amal Raj von den „Missionaries of Mary Immaculate“, dem männlichen Zweig desselben Ordens, wurde bereits mehrfach bedroht. „Wenn wir aus dem Haus gehen, wissen wir nicht, ob wir abends noch lebendig zurückkommen“, sagt der indische Priester. Einmal wurde sein Auto auf der Straße von dreißig Polizisten angehalten, die sofort ihre Waffen entsicherten. Die beiden Priester und die zwei Schwestern im Auto mussten aussteigen. Einer der Polizisten bedrohte Pater Albert mit dem Maschinengewehr und schlug ihn ins Gesicht. „Sie dachten, unser Wagen sei ein Fahrzeug der Rebellen. Viele glauben auch, dass ausländische Organisationen die Rebellen unterstützen und sie mit Waffen und anderem Nachschub versorgen. Als der Polizist merkte, dass ich ein Priester bin, entschuldigte er sich bei mir. Deshalb trage ich jetzt immer gut sichtbar ein großes Kreuz an einer Kette, damit sie sehen, dass ich Priester bin.“
Die Patres arbeiten vor allem in den abgelegensten Gebieten, wo sie die Dörfer oftmals nur zu Fuß erreichen können. Sie leiten aber auch Schulen. Ihre Erfahrung ist, dass die Kinder nichts anderes als den Krieg kennen. „Viele Kinder spielen nur Krieg. Sie tun so, als hätten sie eine Waffe, mit der sie aufeinander schießen. Wenn wir Schüler fragen, was sie einmal werden wollen, so lautet die Antwort oft: ‚Wir wollen Polizisten werden, damit wir schießen und töten können‘. Sie kennen nichts anderes als die Gewalt. Viele haben mitangesehen, wie Familienangehörige getötet wurden. Das menschliche Leben hat hier wenig Bedeutung.“ Die Schüler sollen lernen, das Leben zu schätzen, andere Menschen zu respektieren und Verantwortung für das eigene Leben, die Gesellschaft und eine friedliche Zukunft zu übernehmen.
Auch die Schwestern helfen Menschen, die noch vom letzten Krieg traumatisiert sind, der mehr als 22 Jahre dauerte, mehr als 2 Millionen Menschenleben forderte und viele Millionen Menschen heimatlos machte. Unzählige mussten ihren Ehemann, ihre Ehefrau, ihre Kinder, ihre Eltern und Geschwister grausam sterben sehen, andere haben Gliedmaßen verloren, viele haben nichts mehr. „Sie leben unter Anspannung und in Angst, leiden unter psychischen Problemen und sind traumatisiert, viele benehmen sich nicht mehr normal. Viele haben keine Hoffnung. Unzählige sind nur mit einer Plastiktüte in der Hand geflohen, sie haben nichts. Manche fragen sich: „Warum hat Gott uns geschaffen, warum wurden wir geboren, nur um so sehr zu leiden?““, sagt Schwester Vijii.
Die Schwestern gehen zu den Menschen, und für viele ist es das erste Mal, dass sie das Gefühl haben, jemand höre ihnen zu und sei für sie da. Manchmal geschehen dann kleine Wunder: „Eine Frau hatte sieben Familienangehörige verloren. Alle waren vor ihren Augen getötet worden. Sie war wie erstarrt und sprach mit niemandem mehr. Die Schwestern kümmerten sich um sie. Eines Tages weinte sie nur noch. Sie weinte stundenlang, und dann begann sie zu sprechen. Heute hilft sie selbst den Menschen im Flüchtlingslager. Sie geht von Zelt zu Zelt und betet mit den Leuten“, erzählt die indische Ordensfrau.
Für sich selbst hat Schwester Vijii keine Angst, obwohl sie jeden Tag Schüsse und Bombardierungen hört. „Einige Organisationen haben uns geraten, von hier wegzugehen. Es sei hier zu gefährlich, und es werde keinen Frieden geben, sagten sie uns. Aber wir Schwestern sind gekommen, um das Leid der Leute zu teilen, und solange hier noch Menschen sein werden, bleiben auch wir.“
In den vergangenen drei Jahren hat „Kirche in Not“ die Arbeit der männlichen und weiblichen Ordensleute der Kongregation im Südsudan mit insgesamt 138.700 Euro gefördert, darunter durch die Unterstützung beim Erwerb eines Fahrzeuges, Hilfe beim Bau einer Kirche und eines Pfarrhauses, Ausbildungshilfe für 21 junge Schwestern sowie einem Projekt unter dem Titel „Healing the Healers“ („Heilung für die, die heilen“), durch das Schwestern, die traumatisierte Menschen begleiten, selbst Hilfe und Begleitung erfahren und weitergebildet werden. Außerdem haben wir die spirituelle Weiterbildung der Patres unterstützt.
Zur Zeit unterstützen wir mit 80.000 Euro den Bau eines Pfarrhauses der „Missionaries of Mary Immaculate“ in der Pfarrei von Bar Sharki in der Diözese Wau.
Quelle: KIRCHE IN NOT/ Österreich