19.06.2015

Weißrussland: Razzia und Kirchenschließung

- andrerseits mehr Freiheit für öffentliche Veranstaltungen - erstmals Wehrersatzdienstgesetz verabschiedet

Weißrussland: Razzia und Kirchenschließung

- andrerseits mehr Freiheit für öffentliche Veranstaltungen

- erstmals Wehrersatzdienstgesetz verabschiedet

 Am 31. Mai 2015 nahm die Polizei während des Sonntagsgottesdiensts eine Razzia in der reformierten orthodoxen Verklärungskirche in Gomel vor. Die persönlichen Daten aller Anwesenden wurden aufgenommen. In den nächsten Tagen wurden einige von ihnen zur Befragung vorgeladen. Bereits 12 Tage später wurde diese einzige Pfarre der nicht dem Moskauer Patriarchat unterstellten orthodoxen Gemeinschaft in Belarus geschlossen. Gegen den Pastor der Gemeinschaft, Sergei Nikolaenko wurde ein Verwaltungsstrafverfahren eingeleitet und ein Verfahren nach dem Strafgesetzbuch angedroht. Er hatte um die Erlaubnis zur Abhaltung religiöser Veranstaltungen nach dem Religionsgesetz angesucht. „Sie haben mir die Erlaubnis mündlich erteilt, aber haben eine schriftliche Ausfertigung der Erlaubnis hinausgezögert“, erklärte er. Dmitry Chumakov, der für religiöse Angelegenheiten zuständige Beamte des Regionalen Exekutivkomitees von Gomel erklärte gegenüber Forum 18: „Sie hatten es zu eilig. Sie haben die Erlaubnis der Stadtbehörden für die Abhaltung von Gottesdiensten nicht abgewartet.“ „Sie können sich ohne Erlaubnis ein Fußballspiel ansehen oder über Alexander Puschkin diskutieren, aber für eine religiöse Versammlung brauchen Sie eine Erlaubnis. So fordert es das Gesetz“, erklärte der Beamte. Am 11. Juni wurde Pastor Nikolaenko vor eine Verwaltungskommission der Bezirksverwaltungsbehörde geladen und es wurde ihm mitgeteilt, dass die Kirche das bisher von ihr genutzte Gebäude nicht mehr mieten darf. Diese Entscheidung wurde dem Pastor mündlich mitgeteilt und es wurde ihm gesagt, dass er sie später auch schriftlich bekommen würde.

Die Razzia in Gomel fand genau zwei Wochen nach einer ähnlichen Razzia gegen eine Versammlung einer nicht registrierten Baptistengemeinde in der nahegelegenen Stadt Soligorsk statt. Etwa 70 Gemeindeglieder waren versammelt. Dies war nach Angaben von Gemeindemitgliedern die erste Razzia in dieser Gemeinschaft seit 20 Jahren. Gegen die Gemeindemitglieder Vladimir Daineko und Juri Volodenko verhängte das Bezirksgericht Soligorsk am 8. Juni Geldstrafen von 20 Grundeinheiten, das entspricht etwa 210 Euro wegen des „Zusammentreffens zum Gottesdienst mit anderen ohne staatliche Erlaubnis“. Beide haben erklärt, die Strafen nicht bezahlen zu wollen. „Sie werden Berufung beim Landgericht und wenn nötig beim Obersten Gerichtshof einlegen,“ erklärten Mitglieder der Baptistengemeinde von Soligorsk gegenüber Forum 18. „Andere Gemeinden unseres Bundes waren mit ihren Berufungen gegen Geldstrafen dieser Art erfolgreich.“

Andrerseits scheint es leichter geworden zu sein, religiöse Großveranstaltungen außerhalb von staatlich registrierten Gottesdienststätten abzuhalten. 2014 und 2015 haben protestantische Kirchen Taufen im Freien in Seen durchgeführt. Katholiken und Orthodoxe haben große öffentliche Prozessionen abgehalten. Am 30. Mai 2015 konnten Protestanten die Chizhovka Arena, eine öffentliche Sport- und Unterhaltungsstätte für eine Veranstaltung mieten. „Erstmals in 20 Jahren haben die Minsker Stadtbehörden den Mitgliedskirchen des Bundes des Vollen Evangeliums die offizielle Erlaubnis erteilt, eine Gebetsveranstaltung für Weißrussland in einer Halle abzuhalten, die Tausend Menschen fasst“, schrieb Sergei Lukanin, Rechtsanwalt der Neues Leben Gemeinde in Minsk auf seiner Facebookseite.

Doch diese Freiheit hängt von der Einstellung der zuständigen Beamten ab. Einige jüngere Beamte scheinen bereit zu sein, mehr Freiheit zu gewähren als ihre von der Sowjetära geprägten älteren Kollegen. Doch die restriktiven Gesetze wurden bisher nicht aufgehoben. Daher können gegen Gemeinschaften wie die Verklärungskirche in Gomel oder die Baptistengemeinde in Soligorsk jederzeit Strafen verhängt werden. 

Wehrersatzdienstgesetz - „ein schlechtes Gesetz, aber es ist gut, dass es existiert“

Weißrussland hat erstmals ein Wehrersatzdienstgesetz verabschiedet, das am 1. Juli 2016 in Kraft treten soll. Dieses Gesetz wird es einigen aber nicht allen jungen Männern, die den Dienst mit der Waffe aus Gewissensgründen ablehnen, erlauben, einen zivilen Wehrersatzdienst zu absolvieren. Nur Männer mit religiösen Motiven werden in den Genuss dieser Regelung kommen, nicht aber Pazifisten, deren Überzeugung nicht auf religiösen Motiven beruht. Es ist auch unklar, ob alle jungen Männer, die den Wehrdienst aus religiösen Gründen ablehnen, zum zivilen Wehrersatzdienst zugelassen werden. Dies gilt insbesondere für Mitglieder von Gemeinschaften, die nicht generell pazifistisch sind, so etwa die orthodoxe Kirche. Der Wehrersatzdienst wird doppelt so lange dauern wie der Militärdienst. Menschenrechtsaktivisten und Zeugen Jehovas, die es generell ablehnen, Militärdienst zu leisten, haben die Verabschiedung des neuen Gesetzes begrüßt. Ein Vertreter der zivilgesellschaftlichen Gruppe „Für zivilen Wehrersatzdienst“ die sich jahrelang für die Einführung einer zivilen Alternative zum Wehrdienst eingesetzt hat, meinte am Tag der Verabschiedung des neuen Gesetzes: „ein schlechtes Gesetz, aber es ist gut, dass es existiert“. Diese Organisation und andere Menschenrechtsorganisationen wollen sich dafür einsetzen, dass der Wehrersatzdienst auch für nicht religiöse Pazifisten offen steht, verkürzt wird, und dadurch in Übereinstimmung mit internationalen Menschenrechtsstandards gebracht wird.

Quelle: Forum 18, Oslo

Deutsche Fassung: Arbeitskreis Religionsfreiheit der ÖEA