20.11.2015

Türkei: Religionsfreiheit nicht gewährleistet

Religionsfreiheit von Eltern und Schülern im Schulwesen bisher nicht gewährleistet

Türkei: Religionsfreiheit nicht gewährleistet

Religionsfreiheit von Eltern und Schülern im Schulwesen bisher nicht gewährleistet

Die Türkei ist bereits zweimal (2007 und 2014) in Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg unterlegen, da das Bildungssystem des Landes die Religions- bzw. Glaubensfreiheit von Eltern und Schülern nicht respektiert. Dennoch hat die Türkei bis jetzt keine Schritte zur Abstellung dieser und anderer wiederkehrender Menschenrechtsverletzungen unternommen. Aufgrund der Urteile des EGMR ist die Umsetzung solcher Maßnahmen gefordert, um eine Wiederholung von Verstößen zu verhindern, so z.B. durch die Änderung von Gesetzen und Praktiken des jeweiligen Staates. Dieser Prozess wird vom Ministerkomitee des Europarats überwacht.

Am 16. September 2014 entschied der EGMR im Verfahren Mansur Yalcin und andere gegen die Türkei, dass der verpflichtende Unterricht in „Religiöser Kultur und Ethik“ (nachstehend kurz „RKE“ genannt) und das Bildungssystem insgesamt die Überzeugung  der Eltern nicht respektieren, da  es an Objektivität mangelt bzw. der Pluralismus nicht respektiert wird. Der RKE Lehrplan umfasst auch nach bereits vorgenommen Änderungen durch das Bildungsministerium einen verpflichtenden islamischen Religionsunterricht, wobei eine Abmeldung von diesem nur sehr schwer durchführbar ist. Der EGMR rügte in seinem Urteil, dass keine angemessene Wahlmöglichkeit für Kinder von Eltern mit anderer religiöser oder philosophischer Überzeugung als dem sunnitischen Islam ins Auge gefasst wurde und dass das sehr restriktive Abmeldeverfahren eine schwere Belastung für die Eltern darstellt, die auch ihre religiöse bzw. philosophische Überzeugung offen legen müssen. Diese Anforderung steht im Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention.

Nach dem Urteil des RKE von 2007 änderte die Regierung den RKE Lehrplan. Doch die Änderungen gingen nicht weit genug, um die Menschenrechtsverletzungen zu verhindern, die zu dem Urteil von 2014 in dem von alevitischen Eltern eingeleiteten Verfahren führten. Im September 2014 veröffentlichte die Initiative für Bildungsreform eine auf der Grundlage von Richtlinien der OSZE erstellte Analyse, inwieweit diese Lehrplanänderungen internationalen Standards entsprechen. Die Initiative für Bildungsreform kam zu der Erkenntnis, dass die Änderungen im RKE Unterricht zu einer Erweiterung der Vielfalt der vermittelten islamischen Überzeugungen geführt haben, dass es sich jedoch nach wie vor um islamischen Religionsunterricht handelt. Weiters entspricht der RKE Unterricht bezüglich der vermittelten Inhalte über nicht sunnitische islamische Überzeugungen nicht internationalen Standards.

Im Urteil des EGMR von September 2014 heißt es, dass der Gerichtshof nicht erkennen kann, wie es vermieden werden könne, dass es für Schüler und Schülerinnen zu Konflikten zwischen den im Religionsunterricht vermittelten Inhalten und der religiösen bzw. philosophischen Überzeugungen der Eltern kommt, zumal der Unterricht verpflichtend ist und es keine angemessene Möglichkeit zur Abmeldung gibt. Am 10. November legte die Türkei Berufung gegen das Urteil des EGMR ein und begründete diese mit dem den vorliegenden Beweisen widersprechenden Vorbringen, es handle sich beim RKE Unterreicht um religiös neutrale Lehrinhalte und keinen Religionsunterricht. Namik Sofuoglu, der Rechtsanwalt, der die alevitischen Eltern vor dem EGMR vertrat, ist überzeugt, dass die Regierung keine andere Wahl haben wird, als den RKE Lehrplan zu ändern. Der Gegenstand RKE stellt jedoch nicht die einzige systematische Verletzung der Religionsfreiheit im Bildungssystem dar. Ab dem Schuljahr 2012/13 wurde das Wahlfach Islam eingeführt. Doch sowohl alevitische als auch christliche Schüler haben sich öffentlich beklagt, dass man an vielen Schulen in Wirklichkeit keine Wahl hat. Auf Eltern und Schüler wurde in mehreren Fällen Druck ausgeübt, dieses Fach gegen ihren Willen zu wählen. Die Wahlfächer Christentum und Judentum werden bisher nur an Schulen der aufgrund des Lausanner Vertrags anerkannten Minderheiten  gelehrt. Doch der Staat hat eine von verschiedensten christlichen Konfessionen eingerichtete Kommission beauftragt, einen Lehrplan für einen christlichen Religionsunterricht (Grundkurs im christlichen Glauben) zu erstellen. Laut Angaben des Baptistenpastors Behnan Konutgan aus Istanbul, der der Kommission angehört, wurde das Lehrbuch für die erste Klasse der Mittelschule bereits im Oktober 2014 vom Bildungsministerium genehmigt.

Quelle: Forum 18, Oslo

Deutsche Fassung: Arbeitskreis Religionsfreiheit der ÖEA