29.05.2022

Pakistan: „Wir sind stolze Christen“

Der Politik-Beauftragte der Deutschen Evangelischen Allianz, Uwe Heimowski, war in Pakistan, um sich ein Bild von der Situation der Christen vor Ort zu machen. Seine Eindrücke aus dem islamischen Land schildert er für IDEA.

Pakistan. Gegründet 1947, neun Jahre später ausgerufen zur ersten islamischen Republik der Welt. Minderheiten sind bestenfalls geduldet, die Bedrängnis der Christen ist groß. Der Fall der katholischen Christin Asia Bibi, die 2010 wegen Gotteslästerung zum Tode verurteilt wurde, ging um die Welt. Nur der internationale Protest führte 2019 doch noch zu einem Freispruch. Wie geht es den Christen im Land? Mit Friedhelm Ernst und Samuel Franz vom Missions- und Hilfswerk AVC reise ich für eine gute Woche in die Heimat der Paschtunen, die Stadt Peschawar im Norden des Landes an der Grenze zu Afghanistan. Wir werden herzlich empfangen von Hanook, dem Leiter des Peschawar Agape Trust, einem christlichen Hilfswerk der pfingstkirchlichen Assemblies of God. Eine erste Überraschung erleben wir, als er uns zu seinem Auto führt. Ein Kreuz hängt deutlich sichtbar am Rückspiegel hinter der Windschutzscheibe. Muss man seinen Glauben in Pakistan nicht verstecken? „We are proud Christians!“ – „Wir sind stolze Christen“, erfahre ich. Für mich eine Art Déjà-vu: Ähnliches habe ich bei Christen in der Ninive-Ebene im Nord-Irak erlebt. Sie stehen zu ihrem Glauben.

Mission ja, aber nicht unter Muslimen

In Pakistan sind Christen und andere Minderheiten offiziell geduldet. Jeweils bis zu 2 % der Bevölkerung sind Christen oder Hindus. Außerdem gibt es Sikhs, Bahai, Parsen. Insgesamt etwa fünf Millionen Menschen. Alle Minderheiten – mit Ausnahme der Ahmadiya, die als Ketzer, als Abtrünnige des Islam, gelten – dürfen offiziell ihren Glauben leben. Sie dürfen sogar Mission betreiben. Allerdings nur unter den Minderheiten selbst oder unter den chinesischen Gastarbeitern oder den Abertausenden Flüchtlingen aus Afghanistan. Nur nicht unter Muslimen.

Blasphemiegesetz verbreitet Angst

Die Religion ist im Pass vermerkt. Muslime können ihren Glauben offiziell nicht wechseln. Tun sie es doch, dann geschieht das heimlich. Oder es wird lebensgefährlich: Konvertiten werden aus den Familien verstoßen und erleben massive Anfeindungen. Verboten ist, sich kritisch zum Islam oder zu Mohamed zu äußern. Das sogenannte Blasphemiegesetz, nach dem auch Asia Bibi verurteilt wurde, stellt das unter Strafe. Jeden Monat gibt es irgendwo im Land Anklagen wegen Gotteslästerung. Häufig sind es fadenscheinige Vorfälle. „Die Muslime versuchen, Angst aufzubauen – damit viele aus den Minderheiten zum Islam konvertieren“, erklärt Hanook.

Wachleute vor der Schule

Der Agape Trust unterhält verschiedene Projekte. Das größte ist eine Schule. Bei unserem Besuch werden wir das erste Mal sichtbar mit der Bedrohungslage konfrontiert: Im Klassenraum führen uns die Kinder einige Szenen aus ihrem Unterricht vor. Das Thema ist „Agape“, die göttliche Liebe. Anhand des Bibelverses Römer 12,10, der auf ein großes Plakat geschrieben ist, lernen sie, dass man einander lieben und ehren soll, als Brüder und Schwestern. Vor der Tür steht eine Polizeiwache, dazu noch zwei schwer bewaffnete private Sicherheitskräfte. „Wir wollen, dass die Kinder Gottes Liebe erfahren und sie in die Umgebung hinaustragen. Leider sind es die islamischen Extremisten, die etwas dagegen haben“, erklärt die Leiterin der Schule. Zweimal wurde in der Vergangenheit ein Wachmann erschossen, die Versuche, ins Gebäude einzudringen, sind aber immer gescheitert. „Eines Morgens sahen wir Einschüsse in den Türen und Wänden, doch niemand ist hineingekommen, Gott hat uns bewahrt“, ergänzt Hanook.

Bildung als Schlüssel für die Zukunft

Die AG Grammarschool ist vor 15 Jahren entstanden, um christlichen Kindern einen Schulbesuch zu ermöglichen. Vor allem in den nördlichen Provinzen leben die Minderheiten in großer Armut, viele sind seit Generationen in Schuldknechtschaft. Häufig werden Töchter von Christen mit Muslimen zwangsverheiratet. Von den 400 Schülern der Schule stammen 57,6 % aus einem Elternhaus von Analphabeten, nur jeder vierte Elternteil hat die Schule besucht. „Damit diese Kinder und unser Land eine Zukunft haben“, erfahren wir, „haben wir die Schule gegründet. Nur Gottes Liebe kann den Hass überwinden.“

 

Es ist gefährlich

Den Hass: Ende Januar 2022 wurden in Peschawar zwei Geistliche der anglikanischen Church of Pakistan von Taliban erschossen, als sie mit dem Auto an einer Straßenkreuzung standen. Wenig später ermordeten die Taliban einen Schiiten, dann einen Sikh. Während wir im Land sind, tickert die Meldung rein, dass in einem anderen Distrikt ein Mitglied der Ahmadiya brutal ermordet wurde. Entsprechend groß ist die Besorgnis, unnötig in Verdacht zu geraten. Als ich nach vier Tagen, in denen wir uns praktisch nur in Häusern oder im Auto bewegen, versuche, ein paar Schritte auf die Straße zu gehen, werde ich sehr bestimmt zurückgehalten. „It's too dangerous.“ Ein westlich aussehender Mensch ist nicht nur selbst gefährdet, sondern kann zu einer Gefahr für die Christen werden, die ihn eingeladen haben.

Einschussloch im Kreuz

Wir besuchen die All-Saints-Church, die zweitälteste Kirche im Land. 1883 wurde sie für die Menschen in Peschawar (damals Afghanistan) errichtet. Im Kreuz auf dem Dach sieht man einen Einschuss. Ein muslimischer Nachbar hatte die Kirche kurz nach ihrer Einweihung beschossen. Immer wieder wurde sie seitdem zur Zielscheibe des Terrors. Der schrecklichste Anschlag geschah 2013 durch den sogenannten Islamischen Staat (IS). Nach dem Gottesdienst standen die Gläubigen auf dem Kirchenvorplatz und tranken Tee, als unvermittelt zwei Männer hereinstürmten und Sprengstoffwesten zündeten. Die Selbstmordattentäter töteten 100 Menschen, darunter zwei muslimische Wachmänner.

Mahnmal des Friedens

Die Solidarität unter den Christen ist stark: Die Assemblies of God sammelten Spenden und finanzierten den Kindern der Opfer für die nächsten Jahre das Schulgeld. 2018 begann die Wiederherstellung der Kirche. 2022 wurde die Kirche vom Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, wieder eingeweiht. Im Nebengebäude entstand das „All Saints Peace Center“ für Dialog zwischen den Religionen. „Als Christen stehen wir in diesem Land für Versöhnung“, erklärt uns der Geistliche der Kirche, „die All-Saints-Church ist ein Mahnmal des Friedens“.