24.11.2022

Hongkong: Ein Kardinal, der China und dem Papst die Leviten liest

Unbeugsam, scharfzüngig, resolut, Joseph Zen Ze-kiun, emeritierter Bischof von Hongkong, kämpft für Menschenrechte und gegen ein geheimes Abkommen Chinas mit dem Heiligen Stuhl. Nun steht der 90-Jährige vor Gericht.

IIRF-D/NZZ/Tübingen und Hongkong/ 24.11.2022 - Joseph Zen Ze-kiun, emeritierter Bischof von Hongkong, ist von der Staatanwalschaft angeklagt. Das ihm vorgeworfene Delikt ist «Unterlassen eines Antrags auf Registrierung eines Unterstützungsfonds oder Nichteinreichen eines Ausnahmegesuchs». Der Bischoff und seine Mitangeklagten sollen versäumt haben, den inzwischen aufgelösten Humanitarian Relief Fund, welcher Rechtsberatungen für Demokratieaktivisten finanzierte, bei den Behörden anzumelden. Marco Kauffmann Bossart hat in einem Beitrag für die Neue Züricher Zeitung die Situation beschrieben. Im Folgenden Auszüge aus seinem Bericht:

«Kollusion mit fremden Mächten»

Der Fall ist einer von Tausenden im Nachgang zu den Massenprotesten von 2019. Damals gingen in der ehemaligen britischen Kronkolonie Hunderttausende, an gewissen Tagen gar Millionen von Menschen auf die Strasse. Die Proteste richteten sich gegen ein kontroverses Gesetz, das erlaubt hätte, Verdächtige an China auszuliefern.

Kardinal Zen, ein scharfer Kritiker Pekings, tauchte gelegentlich selber an den Kundgebungen auf, schüttelte Hände, betete für die Teilnehmer und die Demokratie. Manche Aushängeschilder der Bürgerrechtsbewegung waren drei Generationen jünger. Aber der 1932 geborene Zen drückte mit einer Anwesenheit Sympathien und Unterstützung für die Demonstranten aus.

«Der Kardinal stand als moralische Autorität sozusagen über allen», sagt der reformierte Pfarrer und Professor Tobias Brandner. Der Schweizer arbeitet seit den neunziger Jahren als Gefängnisseelsorger in Hongkong. Betreute Brandner früher Mörder, Vergewaltiger, Betrüger und andere Kriminelle, trifft er jetzt vermehrt auf politische Häftlinge.

Wann im Verfahren WKS 4829/2022 ein Urteil gesprochen wird, ist unklar. Bei einem Schuldspruch erwartet Zen eine Busse von umgerechnet 1200 Franken. Dieses Verfahren stellt indes nur einen harmlosen Nebenschauplatz dar. Im Mai war Zen nämlich wegen Verdachts auf «Kollusion mit ausländischen Mächten» verhaftet worden. Zwar liess ihn die Polizei später gegen Kaution frei. Doch sendete die Festsetzung des hochrangigen Kirchenmannes Schockwellen durch Hongkong. Wenn der Sicherheitsapparat nicht einmal davor zurückschrecke, einen betagten Kardinal zu verhaften, dann sei niemand mehr sicher, mutmaßten manche.

Wird Zen wegen dieser viel schwerwiegenderen Vorwürfe angeklagt und verurteilt, droht ihm eine mehrjährige Haftstrafe. Auch höchste Würdenträger müssten sich an das Gesetz halten, rechtfertigen prochinesische Kräfte die Verfahren. Kritiker bezeichnen den Prozess gegen Zen und seine Mitstreiter hingegen als Farce. Er ziele darauf ab, demokratische Stimmen mundtot zu machen.

Messerscharfer Intellekt

Mit seiner beissenden Kritik an Chinas Repression ist er für die Machthaber in Peking seit Jahrzehnten ein rotes Tuch. Aber auch gegenüber dem Vatikan hat er sich nie zurückgehalten – vor allem wenn er sich zum Verhältnis zwischen dem Heiligen Stuhl und der Volksrepublik äußerte.

2018 unterzeichneten der Vatikan und das kommunistische Regime eine Vereinbarung, die den langjährigen Disput über Bischofsweihen in China aus dem Weg räumen sollte. Den Wortlaut hielten beide Seiten unter Verschluss, was wenig Vertrauen schafft. Offenbar erhielt Peking das Recht, Kandidaten für das hohe Kirchenamt vorzuschlagen. Zen geißelte das Abkommen damals als «Selbstmordpakt» und «unglaublichen Verrat» des Vatikans an den Katholiken in China.

Kardinal Zen bezog sich auf die schätzungsweise sechs Millionen Gläubigen, die sich jahrzehntelang zur papsttreuen Untergrundkirche bekannten und deswegen verfolgt werden. Mit dem «verwerflichen Deal» habe der Vatikan Peking legitimiert, die Untergrundkirche auszulöschen, sagte Zen damals; während des öffentlich ausgetragenen Disputs mit dem Vatikan. Vom Wunsch beseelt, die Beziehungen mit der chinesischen Regierung zu normalisieren, gebe die katholische Kirche ihre Prinzipien auf, so sein Vorwurf.

 

 

Kritiker bezichtigen den Vatikan, sich aus Rücksicht auf das Abkommen duckmäuserisch zu verhalten. Zens Verhaftung kommentierte der Vatikan lediglich mit einer flauen Erklärung: Man verfolge die Entwicklung der Situation mit «großer Aufmerksamkeit» und drücke seine Besorgnis aus, hieß es darin. Kein Geheimnis ist, dass der Kardinal mehrmals nach Rom reiste, aber Papst Franziskus über mehrere Tage hinweg keine Zeit finden wollte, um über das strittige Abkommen zu reden. Die Vermutung liegt nahe, dass die Vatikan-Bürokratie, die eine Annäherung an China unterstützt, den unbequemen Purpurträger ausbremsen wollte.

Rückendeckung erhielt Zen hingegen vom deutschen Kardinal Gerhard Ludwig Müller. Weder der Dekan des Kardinalskollegiums noch Staatssekretär Parolin noch der Papst hätten «das sehr ernste Problem unseres Bruders Zen» bei der jüngsten Zusammenkunft der Kardinäle angesprochen, beklagte Müller gegenüber der italienischen Zeitung «Il Messaggero». Er frage sich, weshalb die Kirche Länder schone, die Menschenrechte unterdrückten. Zen sei eine mutige und «von der chinesischen Regierung sehr gefürchtete Persönlichkeit».

«Beten Sie für mich»

Zum Abschied bittet Zen den ausländischen Besucher: «Beten Sie für mich.»

Quelle: https://www.nzz.ch/international/hongkonger-kardinal-kaempft-gegen-china-und-den-vatikan-ld.1711212?kid=nl164_2022-11-23&ga=1&mktcval=164_2022-11-24&mktcid=nled