26.02.2021

Iran: Immer mehr Menschen wechseln die Religion trotz größter Gefahr

IGfM/Frankfurt - Schätzungen zufolge leben im Iran bis zu viermal so viel Christen wie offiziell angegeben, fast eine Million davon im Untergrund. Zunehmend mehr Menschen wenden sich erschrocken vom Glauben der herrschenden Mullahs ab. Der Staat reagiert mit brachialer Gewalt: Masseninhaftierungen, grausame Strafen und das zumindest fahrlässige Aussetzen der Gefahr einer COVID-19-Infektion.

Erkenntnisse niederländischer Forscher zufolge leben im Iran etwa bis zu viermal so viel Christen wie offiziell angegeben: Bei der Untersuchung der Forschungsgruppe GAMAAN bekannten sich 1,5 Prozent der Befragten zum Christentum. Das wären hochgerechnet rund 1,245 Millionen Iraner. Fast eine Million Christen sollen im Untergrund ihren Glauben leben. Viele Bürger des sogenannten „Gottesstaates“ sind von der ideologischen Auslegung des schiitischen Islam durch die herrschenden Mullahs abgeschreckt. Viele Menschen im Iran haben in der Folge ihren islamischen Glauben verloren und wünschen sich insgeheim eine strikte Trennung von Religion und Staat.

Diejenigen unter ihnen, die nicht ohne persönliche Frömmigkeit leben möchten, wenden sich dem Christentum zu – trotz großer Gefahren. Die iranische Führung ist sich des zunehmenden Akzeptanzverlustes bewusst und versucht daher, mittels brachialer Gewalt vom Glaubenswechsel abzuschrecken. Menschenrechtsorganisationen wie die IGFM beobachten diese brutale Verfolgung, dokumentieren sie und prangern die andauernden Menschenrechtsverletzungen durch das iranische Regime an.

Im zurückliegenden Jahr 2020 spitzte sich die Situation durch die Pandemie COVID-19, die sich im Iran besonders stark ausbreitete, noch einmal besonders zu. Mit einem fast 50-tägigen Hungerstreik gegen die katastrophalen Bedingungen in iranischen Gefängnissen protestierte Sacharow-Preisträgerin Nasrin Sotoudeh. Die IGFM berichtete über die mangelnden Präventionsmaßnahmen und die schlechte medizinische Versorgung. Es fehlt in den Anstalten an Masken, Desinfektion, konsequenter Quarantäne, ganz abgesehen von der Möglichkeit, Abstand zu halten, da sie in der Regel überfüllt sind: Ohne die Freilassung nicht-rechtmäßig inhaftierter Häftlinge sind die Empfehlungen der WHO zu Präventivmaßnahmen in den Gefängnissen kaum einzuhalten.

Die IGFM setzte sich weiterhin für Sotoudeh als politische Gefangene ein wie auch für die wegen ihres Glaubens Verfolgten, darunter vier Gemeindeleiter aus dem nordiranischen Rascht: Im Juni 2017 wurden Youcef Nadarkhani, Saheb Fadaie, Yasser Mossayebzadeh und Mohammedreza Omidi zu zehn Jahren Haft verurteilt und im Juli 2018 eingesperrt. „Gefährdung der nationalen Sicherheit“, „Verbreitung eines zionistischen Christentums“ – so lauteten unter anderem die Vorwürfe. Im Mai 2020 wurden die Haftstrafen reduziert: Für die ersten drei der Genannten bedeutet dies nunmehr sechs Jahre hinter Gittern und für Omidi zwei Jahre. Inzwischen wurde Letzterer freigelassen. Weil er wie Pastor Nadarkhani auch noch zur Verbannung verurteilt wurde, befindet er sich derzeit in der südwestlichen Stadt Borazjan im Zwangsexil.

Das Regime akzeptiert seinen Übertritt vom Islam zum Christentum nicht. Wegen unerlaubten Alkoholkonsums wurde Omidi zu 80 Peitschenhieben verurteilt, weil er beim Abendmahl Wein getrunken hatte. Diese grausame Strafe wurde im vergangenen Oktober vollzogen. Saheb Fadaie erging es ebenso am 15. November 2020.

Nun droht auch Mossayebzadeh die Auspeitschung aufgrund eines Gerichtsurteils. Im August des zurückliegenden Jahres wurde er positiv auf COVID-19 getestet. Die anderen verfolgten Christen zeigten m Sommer krankheitstypische Symptome, mit Ausnahme von Omidi.

Bei der alljährlichen Lichterkette der IGFM-Arbeitsgruppe Hamburg berichtete der evangelische Pastor John Siegmund über das Schicksal der vier Verurteilten. Er möchte für „unschuldig verfolgte“ Amtsbrüder eintreten. „Keiner von ihnen hat etwas Verkehrtes getan. Sie sind nur ihren Aufgaben nachgekommen“, betonte Pastor Siegmund. Nun sei „persönliche Solidarität“ besonders von Bischöfen und Pastoren gefordert. Die Christenheit könne ihre Verfolgung, Inhaftierung und Misshandlung nicht hinnehmen. Unterstützung erhielt Siegmund schon einmal aus dem Bundestag: „Pastor Nadarkhani wurde im Iran erneut gefangen genommen, weil er die Heilsbotschaft verkündet hat“, hieß es im Grußwort von Professor Heribert Hirte, Vorsitzender des Stephanus-Kreises der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. „Meine Unterstützung gilt ihm, dass er freigelassen werden möge.“