28.08.2020

Deutschland: Urteil zum Neutralitätsgesetz

Bundesarbeitsgericht gegen pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen

Berlin/Erfurt (idea) – Ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen diskriminiert die Betroffenen wegen ihrer Religion und ist damit verfassungswidrig. Das entschied das Bundesarbeitsgericht in Erfurt am 27. August. Anlass der Verhandlung war der Fall einer Muslimin, die sich in Berlin als Lehrerin beworben hatte und beim Bewerbungsgespräch ankündigte, ihr Kopftuch auch im Unterricht tragen zu wollen. Als sie daraufhin nicht angestellt wurde, hatte sie vor dem Arbeitsgericht eine Entschädigung verlangt, weil sie sich wegen ihrer Religion benachteiligt sah. Das Land Berlin wiederum verwies auf sein Neutralitätsgesetz. Es stammt aus dem Jahr 2005 und regelt, dass Lehrer, Polizisten und Justizbedienstete im Dienst keine religiösen Symbole – also auch kein Kreuz und keine Kippa – tragen dürfen. Die Richter am Bundesarbeitsgericht sahen darin jedoch eine nicht hinzunehmende Diskriminierung aufgrund der Religion. Ihnen zufolge dürfen Verbote religiöser Symbole nur dann gerechtfertigt sein, wenn von ihnen eine Gefahr für den Schulfrieden ausgehe.

Heimowski: Staat muss Freiheit des Einzelnen schützen, seine Religion aktiv auszuüben

Die evangelische Kirche und die Deutsche Evangelische Allianz begrüßten das Urteil zum Neutralitätsgesetz. „Nach über fünf Jahren ist es an der Zeit, im Berliner Neutralitätsgesetz dem Grundrecht der Religionsfreiheit mehr Beachtung zu schenken“, teilte der Präsident des Konsistoriums der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Jörg Antoine, mit. So solle, wer eine tolerante und plurale Gesellschaft wolle, nicht auf das Verbot religiöser Symbole setzen. „Wir kommen weiter, wenn wir lernen, mit Unterschiedlichkeiten zu leben; das sollte bereits in der Schule anfangen.“ Der Beauftragte der Deutschen Evangelischen Allianz am Sitz des Bundestages und der Bundesregierung, Uwe Heimowski (Berlin), sprach sich gegenüber der Evangelischen Nachrichtenagentur idea ebenfalls für ein Umdenken aus. „Welche Blüten gerade das Berliner Neutralitätsgesetz mitunter treibt, hat sich 2017 gezeigt, als einer Lehrerin verboten wurde, im Unterricht ein Halskreuz zu tragen.“ Weil Deutschland ein säkularer und damit neutraler Staat sei, könne es nicht seine Aufgabe sein, Religion im öffentlichen Raum zu verbieten. „Vielmehr muss der Staat die Freiheit des Einzelnen schützen, seine Religion aktiv auszuüben.“

 

Heftige Kritik von atheistischen Kräften in SPD und Linkspartei

Scharfe Kritik an dem Urteil üben dagegen Vertreter der „HumanistInnen und Konfessionsfreien in der Berliner SPD“ sowie der dortigen Säkularen Linken innerhalb der Linkspartei. Es sei „ein Rückschlag für alle säkular und laizistisch orientierten Kräfte in unserem Land“, heißt es in einer gemeinsamen Pressemitteilung. Das Urteil gebe Anlass „zur größten Besorgnis um die Zukunft der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates“. Bei einer vollständigen Aufhebung des Gesetzes – wie es teilweise aus den Reihen der Grünen und Linken erwogen werde´– wären „gravierende Auswirkungen auf die öffentlichen Schulen, Polizei und Justiz zu befürchten. In all diesen Bereichen würden religiöse Konflikte und schlimmstenfalls auch hochproblematische Weltanschauungen in verschiedenen Ausdrucksformen Einzug halten.“ Die Berliner Koalition solle deshalb „das Gesetz im maximal möglichen Umfang“ aufrechterhalten.