29.06.2020

Jemen: Es geht um Leben und Tod

Christliche Nothilfeorganisation befürchtet Verschärfung der humanitären Lage

Sanaa/Berlin (idea) – Seit fünf Jahren Bürgerkrieg, außerdem Hunger, Wassermangel und Krankheitsausbrüche, etwa durch Cholera: Das Leid der Menschen im Jemen erreichte schon vor der Corona-Pandemie ein dramatisches Ausmaß. Die anhaltende Ausbreitung von Covid-19 habe daher fatale Folgen für das krisengebeutelte und geschwächte Land, warnt der geschäftsführende Leiter für Internationale Programme des deutschen Zweigs der christlichenNothilfeorganisation Medair, Steffen Horstmeier (Berlin). „Es geht schlicht um Leben und Tod. Das Leid ist unvorstellbar groß“, sagte er der Evangelischen Nachrichtenagentur idea. 75 Prozent der rund 28 Millionen Jemeniten benötigten bereits vor der Pandemie lebensrettende Hilfe. Das Gesundheitssystem stehe kurz vor dem Kollaps. Es mangele an Medikamenten und medizinischer Ausrüstung. Horstmeier zufolge müssen sich unterernährte Mütter um ihre geschwächten Kinder kümmern: „Dem Coronavirus können sie nichts entgegensetzen.“

Massiver Anstieg von Infektionen

Offiziell sind nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO mehr als 1.100 Menschen im Jemen mit dem Coronavirus infiziert. Über 300 Menschen seien in Verbindung mit Corona gestorben. Täglich steige die Zahl der Infektionen weiter an. Laut Medair könnte die Dunkelziffer weit höher liegen. Horstmeier zufolge ist das fragile Gesundheitssystem für die Bewältigung einer Pandemie nicht gerüstet. Auch Schutzmaßnahmen durch die Bevölkerung könnten nicht greifen. Nahezu jeder zweite Jemenit habe keinen Zugang zu sauberem Wasser, Toiletten und medizinischer Grundversorgung. In schwer zugänglichen Landesteilen unterstützt die Hilfsorganisation die Bevölkerung mit Wasserprojekten sowie Gesundheits- und Ernährungsdiensten für Mütter, Säuglinge und Kleinkinder. Bereits im April – vor den ersten Infektionsfällen – verteilte das Werk Covid-19-Schutzausrüstung in elf Gesundheitseinrichtungen und schulte medizinisches Personal in Hygieneregeln, so Horstmeier. Einheimische Helfer klärten Dorfbewohner über das Virus auf. Jedoch seien Schutzmaterialien wie Mund-Nase-Masken inzwischen fast aufgebraucht. Flugzeuge könnten aufgrund des anhaltenden Konflikts im Jemen nur sehr eingeschränkt landen. Der Nachschub vor allem für die Gesundheitszentren bleibe somit aus.

Das Leid der Kinder

Auch das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) befürchtet eine Verschlimmerung der Lage im Jemen. Wegen fehlender internationaler Hilfsgelder und der Ausbreitung von Covid-19 könnte bis Jahresende die Zahl mangelernährter Kinder auf 2,4 Millionen ansteigen. Das entspräche fast der Hälfte aller Kinder im Land, so die Prognose. Millionen Kinder drohten bereits in den kommenden Monaten „an den Rand einer Hungersnot“ zu geraten, heißt es in einem am 26. Juni erschienenen UNICEF-Bericht. „Im Jemen erlebt ein Kind an einem Tag so viel Ungerechtigkeit und Not, wie sie die meisten Menschen in ihrem ganzen Leben nicht erfahren werden“, so die UNICEF-Repräsentantin für den Jemen, Sara Beysolow Nyanti.